Friday, December 28, 2007

A bis H



Dezember. Im Garten blüht erst noch eine Rose auf, dann fällt Schnee. Ich habe seit Mocking Bird kein Buch mehr gefunden, das mich so magisch angezogen hat, und versuche es nun mit dem Sternwanderer von Neil Gaiman: ein Märchenbuch.

Es war einmal ein junger Mann, der sehnte sich danach, das sich ein Wunschtraum erfüllte.
Obgleich dies kein ungewöhnlicher Anfang für eine Geschichte ist, war an dem jungen Mann und seinen Erlebnissen doch viel Seltsames, das nicht einmal er selbst jemals in vollem Umfang begriff.

Schnitt zur Zeit. Die diesmal gefährliche Bücher vorstellt, die das Leben verändern können. Zum Beispiel: Camus. Der Fremde. Erinnert von Georg Diez.

Ein metaphysischer Thriller, die Tat trat an die Stelle der Bedeutung, und die Leere war der schönste Ort. Eben pubertär. Wenn man 17 ist und auf der Suche danach, wie das geht mit dem Leben, dann merkt man das erst einmal nicht: dass die Suche nach der Wahrheit vielleicht auch eine besonders geschickte Lüge ist. Aber was wusste ich schon.

Und so kommt es, das ich nun im Dezember einerseits zwischen Sternen und andererseits zwischen Warnungen wandle, und zwischendurch Ausflüge zu den Büchern mache, die ich dieses Jahr gelesen habe. Rose Ausländer, Paul Auster, Djuna Barnes, Samuel Beckett, Simone de Beauvoir: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause. Auch sie taucht in der Liste auf.

Was sie auf ihrer Suche nach Orientierung nicht alles las! Schriftsteller, Dichter und Philosophen, deren Namen ich unterstrichen habe, weil ich sie noch nie gehört hatte. Und wie sie überall Geistesverwandte fand! Schließlich auch diesen unfassbar klugen Sartre, der ihr beim ersten Treffen klarmachte, dass der Mensch sich auf niemanden verlassen könne außer auf sich selbst. Diese Passage habe ich rot markiert.

Die markierten Passagen. Sie führten auch zu diesem Blog. Und zur Idee von A bis Z zu lesen. Was mich dann im Lauf des Jahres von Paul Celan zu Joan Didion, und von Nadime Gordimer zu Peter Handke und Ernest Hemingway brachte. Neil Gaiman ist da eher unbeabsichtigt hinein gerutscht.

Das nächste Jahr fängt also mit I und J an. Dazu gibt es leider keine gefährliche Empfehlung.


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Friday, December 07, 2007

Wer die Nachtigall...



Wer die Nachtigall stört, heißt das Buch auf deutsch. Ich habe gesucht, aber habe bis jetzt keine Erklärung dafür gefunden, warum man den Titel so weichgewaschen hat. Im Original ist er klar und hart. "To Kill a Mockingbird."

Und die Erklärung kommt direkt im Buch.

"I'd rather you shot at tin cans in the back yard, but I know you'll go after the birds. Shoot all the bluejays you want, if you can hit 'em, but remember it's a sin to kill a mockingbird."

Vielleicht sollte ich das Buch doch noch in deutsch holen. Nur um zu sehen, wie die Zeile sich dort liest: "Ihr könnt die Bluejays necken, aber stört die Nachtigall nicht.." -?

Aber vielleicht belasse ich es besser beim Originaltext. Es gab seit langem kein Buch mehr, das mich so in seine Seiten gezogen hat. Als ich das Buch mitnahm, dachte ich es fällt eher in die Kategorie Klassiker, in die ich einen Blick werfen wollte. Falsch gedacht. Ab der zweiten Hälfte habe ich nur noch kapitelweise gelesen, damit das Buch länger halt. Wahrscheinlich werde ich es irgendwann kaufen. Es hat zu viele gute Stellen. Wie diese hier:

Next morning, I awoke, looked out of the window and nearly died of fright.
My screams brought Atticus from his bathroom half-shaven.
"The world's ending, Atticus! Please do something - !"
I dragged him to the window and pointed.
"No, it's not," he said, "It's snowing."


oder diese:

Had I ever harboured the mystical notions about mountains that seem to obsess lawyers and judges, Aunt Alexandra would have analogous to Mount Everest: throughout my early life, she was cold and there.

Und neben der Geschichte dann noch 3 Verknüpfung: Lee Harper ist aufgewachsen - mit Truman Capote. Welcher Dill in der Geschichte ist, der Freund von Scout. Ich hatte keine Ahnung.

Und als ich mit Diana und Mike aus den USA mailte, und das Buch erwähnte, kamen dann ganze Geschichten zurück.

"To Kill A Mockingbird" is one of my favorite books. It is taught in school over here and is considered after Huckleberry Finn and The Great Gatsby as one of the finest American novels. And it is. Harper Lee was a childhood friend of Truman Capote. In fact the character Dill is Capote. She actually went to Kansas with him in 1960 and was his researcher and assistant while he wrote In Cold Blood.

The amazing thing is that she never wrote another novel, is extremely reclusive and irascible. There was a bio of her put out about a year ago, and if you see either of the recent movies about Capote, she's a major character in them. There are rumors that he actually wrote the book but that's ridiculous. Capote is one of my favorite writers but there's no way he wrote that book. I'm surprised you've never come across it before. Find the movie with Gregory Peck. It's very good.

My best friend Matt named his daughter harper Lee because he and his wife loved the book so much. One of my son's friends is named Atticus. I reread it every other year or so, always in the fall. It's a fall kind of book. I have a signed first edition, very rare. It's my prize.
- Mike


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I haven't read "To Kill A Mockingbird," but the movie is one of the best in American cinema. Gregory Peck plays Atticus Finch. There's an unforgettable scene in the courthouse, when Scout is upstairs with the black observers, and suddenly everyone in the balcony rises. "What's happening?" she asks worried. "Atticus Finch is passing," they say. It is the rare portrait of a good man, a moral man who stands up for what he believes.
They don't make heroes like that any more.
Harper Lee only wrote that one book and was never heard from again. Recently, with two movies about Truman Capote, they tracked her down in Alabama. The movie of "Capote" is worth seeing. But the film is completely stolen by Catherine Keener as Harper Lee.
- Diana


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Das ist, was gute Bücher machen - Kreise ziehen.

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Tuesday, November 20, 2007

ichmich



Die neue Generation X hat endlich einen Namen. Zumindest auf der anderen Seite der Welt, downunder in Oz: die I/Me Generation.

Wie übersetzt man das nun, frage ich mich. Ein paar Tage später gibt mir eine Gedichtzeile die Antwort. Sie stammt aus dingfest, der Textsammlung von Ernst Jandl.

ein ichmich
kann etwas gutes sein
ein ichmich
kann etwas schechtes sein
...
ein dumich
kann ohne mein zutun sein
auch ein ichmich
kann mich plötzlich überfallen

Passend dazu dann, etwas später: Gedanken zur Nanotechnologie. Die keine direkte Fachwissenschaft ist, wie der Artikel erklärt, sondern eher eine Art und Weise, die Forschung zu organisieren. Daher nehmen auch Philosophen an Nano-Tagungen teil.

Und was machen die Techniker nun mit der Nanotechnik? Genau das, was die Generation I/Me tut: sie ritzen ihren Namen in die Welt. Was dann gleichzeitig auch ein Beweis des Potenzials dieser Technik ist.

Man kann es als eine Art proof of concept dafür verstehen, dass wir uns auf molekularer Ebene willkürlich in die Materie einschreiben können. Denn im Grunde gibt es ja nichts Willkürlicheres, als den eigenen Namen irgendwo hinzuschreiben. Damit führt man vor, was man am Ende will: willkürliche technische Kontrolle über einzelne Atome und Moleküle. Das ganze visionäre Potenzial der Nanotechnologie steckt in diesem Akt.

Ich geh dann auch mal Atome ritzen.

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Monday, November 12, 2007

Life is a story



November. Und ich lese immer noch das Buch, das ich auf Kreta angefangen habe: The Testament of Gideon Mack, von James Robertson. Wahrscheinlich, weil noch etwas Sand zwischen den Seiten hängt. Und es daher doppelt schwerfällt, die letzte Seite aufzuschlagen. Gibt es das Buch schon auf deutsch? Kann ich hier einfach englisch zitieren? Warum eigentlich nicht? (Fragte Eva.)

When I think of all the novels I've read, I do wonder if it's been a sensible use of my time. Why would I fill my head with all those made-up stories if it wasn't to try and understand my own story? Every month my book group discusses a novel and its characters as if they were real people making real choices. Life is a story.

Bei Robertson geht es um die grösste Geschichte der Menschheit. Die Geschichte von Gott und vom Teufel. Und vom Mensch, mit seiner Religion, zwischen dem Guten und dem Bösen pendelnd. Verkörpert durch Gideon Mack, der in dem Buch das Glück oder Pech hat, als zweifelnder Mensch auf den Teufel zu treffen, und sich mit ihm über Gott und die Welt zu unterhalten. Der Teufel, er trägt in dieser Geschichte keine Hörner, keine Klauenfüße.

"I used to have a purpose," the Devil said. "We both had a purpose, God and me. Now? Basically, I don't do anything any more. I despair, if you want the honest truth. I mean, the world doesn't need me. It's going to hell on a handcart, if you'll excuse the cliché, without any assistance from me."
"And does God feel the same?" Gideon asked.
"Probably. I feel sorry for him, actually. What's in this for him? If things are going well, people forget about him. They unchain the swings, turn the churches into casinos and mock anybody who still believes in him. He's a very easy target. And who does he get left with? Fanatics and maniacs of every faith and every persuasion, who want to kill the heretics and blow themselves to pieces in his name. I feel sorry for God, I do. I mean, what a thankless fucking job. It must be like running the National Health Service when nobody believes in it any more."

Und dann war noch - die Zeit. In der es diesmal um Licht ging. Darum, wie die Wahl von Lampen unser Leben beeinflusst. "Ein Designheft über Licht und Schatten", stand auf der 2. Titelseite. Den Gedankensprung, den Harald Martenstein von diesem Thema aus machte, ist beneidenswert leichtherzig: von Lampen zum Limbus. Die sogenannte Vorhölle, in der diejenigen Seelen landen, die noch nicht getauft wurden, bevor sie starben.

Das heißt, so vorbildliche Gestalten wie Moses und Abraham unterstanden nach ihrem Ableben dem Teufel! Der Teufel hat sie aber nicht gequält, im Limbus wird nicht gequält. Warum der Teufel jemanden nicht quält, der seinen Gegenspieler huldigt, nun aber unter seiner Fuchtel steht, verstehe ich nicht. Der Teufel ist entweder besser als sein Ruf oder ein kompliziertes theologisches Problem.

Das glücklicherweise nun gelöst ist: im April 2007 hat die Kirche den Limbus abgeschafft.

Soviel zum Licht und Schatten der Welt.

Und was lese ich jetzt?

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Tuesday, October 30, 2007

Gefährliches, zweifelhaftes Zeug



Manchmal ist Pech auch Glück. Und bringt unerwartete Bücher und Balkone mit sich. Eigentlich war ich ja nicht wirklich so begeistert von der Idee, nach 7 Tagen in Kreta das Hotel wechseln zu müssen, weil es leider etwas früher zumacht als geplant. Aber so bekomme ich immerhin noch eine zweite Ecke von Kreta zu sehen, sagte ich mir. Bin dann mittags extra noch mal zur Rezeption, um nach der Servicenummer der Reiseagentur zu schauen, die immerhin den Transfer organisiert. Und lief direkt in ein Buch von Doris Lessing. Das jemand gerade bei der Abreise zurückgelassen hat. Das Cover: meerblau. Der Inhalt: zeitlos gut. Die Geschichte einer guten Terroristin. Eines Mädchens, das nicht liest.

Alice pflegte ihre Blockade. Sie konnte sich dafür entscheiden, die Welt der Bücher nicht zu betreten. Insgeheim genoss sie die Macht, ihre Eltern zu beunruhigen. Später fragte sie sich, wie es kam, daß ein Genosse mit einer guten, klaren und richtigen Weltanschauung bereit war, sie zu gefährden, in dem er all dieses gefährliche, zweifelhafte Zeug las. Alice blätterte vielleicht einmal hastig in so einem Buch und ließ es fallen. Wenn sie zuließ, daß ein Buch zum nächsten führte, würde sie sich vielleicht verirren und den rechten Weg nicht wieder finden.

Was Alice wohl zu diesem Ort hier sagen würde? Dem Balkon, der wie zum dasitzen und sich in Büchern verlieren und finden gemacht ist? Diesem Balkon, der eigentlich gar nicht geplant war – denn die Zimmer des Ersatzhotels haben offiziell leider keinen Meerblick. Jedenfalls die meisten nicht. Es gibt jedoch ein paar Zimmer in Bungalows, die entlang eines Weges über einer Steinbucht stehen. Und damit auch – Meerblick haben. Schade nur, dass ich nun die Nobelpreis-Seiten aus der Zeit nicht dabei habe. Aber immerhin taucht Lessing auch im Spiegel auf. Augenzwinkernd. Auf der Stufen ihrer Tür sitzend. Ungeschminkt.

Doris Lessing weicht dem Außen nie aus. Wie Simone de Beauvoir und George Orwell gehört sie zu jenen Schriftstellern, die Extremen der Geschichte unmittelbar begegnet sind und sich aus dieser erzwungenen Erfahrung nicht in eine Formenwelt der Absurdität oder Reduktion gerettet haben. Immer ihrer Botschaft verpflichtet, ist ihr Stil nicht ohne Humor, aber stets ans Gewissen gepflockt. Wenn man die Wahrheit schreibe, komme sie früher oder später heraus, spottete Oscar Wilde schon vor mehr als einem Jahrhundert über diese Art Seriosität.

Und jetzt?

So wie es im Moment aussieht, Balkonien. Mit dem Buch, das sich gestern hier im Buchregal zwischen Sidney Sheldon und Konsalik fand: James Robertson. The Testament of Gideon Mack. Auf dem Cover: schwarze Bäume. Pinke und blaue Blätter. Ein Priester und der Teufel. Gefährliches, zweifelhaftes Zeug.
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Sunday, October 28, 2007

Zeit Reisen



Manchmal liegen Dinge neben der Zeit. Machmal passt die Zeit genau zu den Dingen. Wie vorletzte Woche. Als die neue Zeit im Briefkasten lag, während ich anfing, den Koffer für Kreta zu packen. Und dachte, die Seiten, die werde ich wohl eher daheim lassen. Bis ich die Beilagen sah. Zeit Reisen. Und: Zeit Leben, diesmal als Magazin, das ein DeLillo Buch ist.

Zeit Reisen. Sie beginnen mit dem Taj Mahal in Mumbai. Mit einem Blick aufs Meer. Und mit Geschichten über Zeilen, die in Hotels ihre Form fanden. So kommt es, dass ich in Kreat mit Blick aufs Ägäische Meer über Borroughs im Le Relais Hotel in Paris lese. Wo er mit Ginsberg zusammen Texte zerschnipselte und neu zusammenfügte. CutUp. Und wo er neue Verknüpfungen von Zeit um Raum entwarf. 1960 war das.

Wir hatten die Zusage, dass wir evakuiert werden, aus der Zeit in den Raum.

Szenenwechsel. Oder eher: Zeitwechsel. Zu Don DeLillo, 2007. Der in dem Magazin, das ein Buch ist, auch ein Interview gibt. Über das Schreiben. Und über das Zusammenfügen.

Ich denke Satz für Satz, Stein auf Stein. Wie Hemingway gesagt hat, get black on white, setze schwarze Buchstaben auf weißes Papier, dann folgt ein Satz dem nächsten. Die Sätze bringen mir auf eine merkwürdige Art etwas über das Buch selbst bei. Ich begreife erst während des Schreibens, was ich wirklich sagen will.
Bei Falling Man habe ich zwei Drittel des Buchs innerhalb eines Jahres geschrieben, indem ich meinem Instinkt gefolgt bin. Dann habe ich die einzelnen Teile neu zusammengefügt, um eine innere Struktur zu schaffen, eine Balance, einen Rhythmus, damit bestimmte Elemente in einem sinnvollen Abstand immer wieder auftauchen können.

Hemingway. Er ist auch Teil der Zeit Reisen. Mit einem Satz über das Hotel Taube Schruns in Österreich. Zu dem er gegen Ende November fuhr, um beinahe bis Ostern zu bleiben. Ein paar Seiten weiter schließt sich dann der Kreis: mit einem Bericht über das lutherische Hospiz in Jerusalem. Ein Ort, der unerwarteterweise auch in dem Buch vorkommt, das ich für die Zeit in Kreta gekauft habe: The Cretan Runner. Von George Psychoundakis. Der darin von seinem Leben als Bote in der Zeit der deutschen Besatzung erzählt. Eine Geschichte wie aus einer anderen Welt, vor allem wenn man sie hier liest, an den Orten, von denen er erzählt. Eine Geschichte, die ebenfalls eine Reise beinhaltet: mit einem englischen Offizier kommt Psychoundakis nach Cairo. Bis zu seiner Rückreise nach Kreta sind es 4 Wochen. Genug Zeit, um eine Pilgerreise nach Jerusalem zu machen. Von Tel Aviv nimmt er den Bus. Und schreibt Zeilen, die auch vom Jetzt und Hier aus Kreta stammen könnten.

Aber hier gab es saubere, sonnengewaschene Luft, die tief in meine Seele sank, und ein Gefühl von wahrem Glück weckte.

All die Sonne. Gerade jetzt, als die Uhren zur Winterzeit zurück kehrten. So kurz vor November, getragen aus der Zeit in den Raum.

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Sunday, October 21, 2007

Ortsbestimmung



Es ist Oktober. Heute ist hier. Ein Hier mit Schnee, und mit Büchern, die nicht für mich sind. Obwohl das erste so gut anfängt. Behutsame Ortsbestimmung. Péter Nádas.

Seit ich in der Nähe dieses riesigen Wildbirnenbaums lebe, muß ich nicht mehr fort, wenn ich in die Ferne schauen oder in die Zeit zurückblicken will.
Die Zweige der Wildbirne sind voller kleiner, bauchiger Blätter, die glänzen und hart sind wie Rindsleder.

Vielleicht wenn der zweite Satz in die Ferne geschweift wäre? Ich bleibe nicht hängen. Und versuche es, wie ein Kind mit einer zu großen Tüte Süßigkeiten, mit dem nächsten Buch. Das auch so gut anfängt. wir sind lockvögel, baby. Elfriede Jelinek.

gebrauchsanweisung.:
sie sollen dieses buch sofort eigenmächtig verändern. sie sollen die untertitel auswechseln, sie sollen hergehen & sich überhaupt zu VERÄNDERUNGEN ausserhalb der legalität hinreissen lassen.
dann wendet sich otto zu seinen begleitern um. seine augen funkeln seine gestalt strafft sich. und nun sagt er spöttisch bestimmen wir was getan wird. der lauf eines polizeikarabiners hopert über seine wamme am rückgrat, bleibt an den krapfengeschwülsten weiter unten hängen und GEHT LOS!

Und wenn es auch heute ohnehin nicht passen wird, blättere ich dennoch das dritte Buch auf. Auch das fängt gut an. Michel Houellebecq. Die Welt als Supermarkt.

Der Roman, von gleicher Gestalt wie der Mensch, sollte normalerweise alles von ihm enthalten können. Man glaubt beispielsweise zu Unrecht, dass die Menschen ein rein materielles Leben führen. Gewissermaßen parallel zu ihrem Leben stellen sie sich unentwegt Fragen, die man in Ermangelung eines besseren Ausdrucks philosophisch nennen muss.


Ich schaue auf die Uhr. Zeit zum Koffer packen. Morgen ist Kreta. Ohne Schnee. Dafür mit Zeus. Und der Frage, ob ich Romane in der Bücherei in Zukunft vielleicht nicht nach ihrem ersten Satz, sondern einem zufälligen Satz aus der Mitte aussuchen sollte.

Noch ein Nachgedanke zur Ortsbestimmung - hier ist 255 Meter über NN. Eigentlich sollte es heute nur bis 400 Meter schneien. Genaugenommen, eigentlich gar nicht. Nur weiter östlich.

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Thursday, October 04, 2007

D steht für viele Dinge



Hesse, Heine und Haslinger warten. Ich bin bei G hängen geblieben. Oder eher: bei 2 Ges, die über Des schreiben. Das ganze ohne direkten Zusammenhang, und fast ohne dass ich es bemerkt hätte.

D steht für viele Dinge.

Der Satz kommt von John Dee, der eine Figur von Neil Gaiman ist. Und der Sandman-Geschichte entstammt, in der nebenbei auch Luzifer und Death in neuer Gestalt auftauchen.

Und dann, in der Zeit, André Gorz. und sein Brief an D.
Auch hier taucht der Tod auf. Und mit ihm, ein Gedanke, den ich auch schon hatte. Den Wunsch, dass keiner vor dem anderen sterben, dass keiner am Grab des anderen stehen müsse.

Es ist ein Wunsch, den einst, wie Ovid in seinen Metamorphosen erzählt, im mythischen Phrygien die Götter dem alten Paar Philemon und Baucis zum Dank für seine Gastfreundschaft erfüllten. Die beide Liebenden durften gleichzeitig sterben und, in Bäume verwandelt, fortan doch beieinander sein.

Erzählt Elisabeth von Thadden in der Zeit. Im Sandman lässt Neil Gaiman den König der Träume die Geschichte von einer anderen Sicht aus erzählen.

Meist sind sie nicht allzu erfreut, mich zu sehen, sagt Death. Sie fürchten sich vor den sonnenlosen Gefilden. Aber dein Reich betreten sie jede Nacht ohne Angst.
Dabei bin ich viel furchtbarer als du, Schwester, antwortet Dream.


D steht für viele Dinge. Für welche davon stehe ich?

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Tuesday, September 18, 2007

Farm der Menschen



September. Herbstblätter, die über Nacht auftauchen. Im Spiegel, ein Leitartikel über die Biologie von Moral und Unmoral, der mich zurück bringt zur Anfangsfrage dieses Blogs, skizziert im November 2005, durch Sommerstücke im November:

"Woher kommt dieses Bedürfnis überhaupt, die Momente zu skizzieren, in Worten, auf Papier, sie zu drehen. Dieses Bedürfnis, geschriebene Worte zu teilen. Und diese Versuche, in Sätzen auf den Grund der Dinge zu tauchen."

Aktuelle Forschungsergebnisse von Neuroforschern geben eine mögliche Antwort darauf. Oder bessergesagt: eine mögliche Frage.

Inzwischen glauben Forscher sogar jene biologischen Strukturen identifiziert zu haben, die Menschen zu Mitgefühl und Empathie befähigen. Im Kopf etwa eines Menschen, der nach einem Gegenstand greift, und im Kopf eines Menschen, der ihn dabei beobachtet, feuern die gleichen Nervenzellen. Dank dieser sogenannten Spiegelneuronen kann der Mensch die Empfindungen eines Gegenübers offenbar im eigenen Kopf ablaufen lassen - liegt hier der Ursprung des Mitgefühls und damit letztlich der Moral?

Der Artikel nimmt dann die Kurve zu Serienmördern, und die These, dass ihr Verhalten eventuell auf einer Fehlfunktion ihrer Spiegelneuronen basiert - was dann zur Frage führt, ob sie möglicherweise im Sinne es Strafrechts dann nicht - oder dennoch - schuldig sind.

Die Kurve, die meine Gedanken machen, führt in eine andere Richtung - zum Schreiben. Und zu einem Text von Peter Bieri, der mit 2 Fragen beginnt. Und sich um das Wesen der Bildung dreht.

Wie wollen wir leben?
Wie wäre es, gebildet zu sein?

Zur Bildung gehört die Einsicht in die historische Zufälligkeit der Art, wie wir denken, fühlen, reden und leben: Es hätte alles auch anders kommen können. Dieses Bewusstsein drückt sich aus in der Fähigkeit, die eigene Kultur aus einer gewissen Distanz heraus zu betrachten und von dem naiven und arroganten Gedanken abzurücken, die eigene Lebensform sei den anderen überlegen und einem angeblichen Wesen des Menschen angemessener als jede andere.

Wenn ich in diesem Sinne gebildet bin, habe ich eine bestimmte Art von Neugier: wissen zu wollen, wie es gewesen wäre, in einer anderen Sprache, Gegend und Zeit, auch in einem anderen Klima aufzuwachsen: wie es wäre, in einem anderen Beruf, einer anderen sozialen Schicht zu Hause zu sein. Ich habe das Bedürfnis zu reisen und dadurch meine inneren Grenzen zu erweitern.

Und diese Reisen, - denke ich - können dann 2 Formen nehmen: die Weltreise. Oder - die Gedankenreise. Per Bild. Oder Schrift. Wir schreiben und lesen, um die Innenansichten anderer Lebenswelten erleben zu können. Und unsere Neuronen bilden dabei die Projektionsfläche, sind unsere Kinoleinwand, unser innerer Spiegel. Der ohne weiteres die Tür in eine Märchenwelt öffnet. Mitten in Willinghams neues Band der Fables, zur Farm der Tiere. Dort ist gerade eine Revolution im Gang. Gevatter Fuchs lässt sich dennoch dazu hinreißen, seine Gedanken laut zu äußern - was im Fall einer Revolution immer tödlich enden kann.

Woran liegt es, dass ihr Polit-Fanatiker unbedingt in einer völlig symbolischen Welt leben wollt?
- Und war der arme Colin nicht auf Eurer Seite? Ist schon die Phase der Revolution angebrochen, in der man sich gegenseitig an die Gurgel geht?

Der Gedanksprung führt zu einer kleinen Erkenntnis: Bücherverbrennen macht in Zeiten, in denen Mitgefühl nicht erwünscht ist, akut Sinn. Genauso wie symbolische Welten, in denen Gefühle sauber sortiert sind. Oder?

Fragen und Fragen. Ist es nur ein Gefühl, oder nimmt die Zahl der Fragen zu, je weiter man sich in Richtung möglicher Antworten bewegt?

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Sunday, September 02, 2007

Der alte Mann und die Worte



Von Hemingway gibt es ungefähr 20 Bücher, und dazu noch einmal so viele Biografien. Wo anfangen? Ich ziehe ein Buch nach dem anderen aus dem Regal. Der alte Mann und das Meer - hatte ich schon ausgeliehen. Inseln im Strom - habe ich auf englisch in Frankreich gelesen. Schließlich bleibe ich bei dem Sammelband "Stories I" hängen. Und packe als Hintergrund für die Stories die Rororo Biografie von Hans-Peter Rodenberg dazu.

40 Seiten und 3 Stories weiter wird mir vor allem bewusst: Ich wusste nicht, dass Hemingway an so vielen Orten war. Und zugleich so weit davon, sich selbst sicher zu sein.

Das Trauma der Kindheit verließ Hemingway nicht, er wollte - mußte - ein richtiger Mann sein, kein verweichlichter Intellektueller. Auch äußerlich gab sich Hemingway proletarisch, trat mit Baskenmütze und grober Kleidung auf, um sich von der Schickera der Cafészene und der amerikanischen Literaturbohème abzusetzen. Schreiben, das war Arbeit und nicht Provokation wie bei den Dadisten oder Surrealisten. Alles, was du tun mußt, ist einen wahren Satz zu schreiben, sollte er später über diese Zeit urteilen. Schreib den wahrsten Satz, den du weißt.

Erst weitere 20 Seiten und 2 Stories weiter fällt mir ein, dass es hier irgendwo auch ein Hemingway-Buch geben muss. Und ja. Da steht es. Ein blaues Hardcover, von 1966. Ich öffne es. Und muss lachen. Von allen Büchern in der Bücherei habe ich das ausgewählt, das bereits bei mir im Regal stand. Nur, dass das blaue Buch eine zusätzliche Geschichte enthält: Der alte Mann und das Meer. Never judge a book by its cover, denke ich.

Und noch eine Querverbindung - durch ein Zitat in der Biografie lese ich eine der Geschichten, die ich sonst vielleicht übersprungen hätte. Was schade gewesen wäre. Denn damit hätte ich die Seidenraupen verpasst.

In jener Nacht lagen wir im Zimmer auf dem Fussboden, und ich hörte dem Fressen der Seidenraupen zu. Die Seidenrapen fraßen Maulbeerblätter auf den Hürden, und die ganze Nacht über hörte man sie fressen und ein fallendes Geräusch in den Blättern. Ich für mein Teil wollte nicht schlafen, weil ich schon sehr lange mit dem Wissen lebte, daß meine Seele, falls ich je im Dunkeln die Augen zumachte und mich gehen ließ, meinen Körper verlassen würde.

Falls ich mich gehen ließ. Und die Seidenraupen - sie kamen fast auf die gleiche Art in Nadine Gordimers Roman vor. "...Erinnerst du dich an diese Seidenraupen, deren Kiefer nie stillstanden und die man, wenn man sich im Zimmer absolut ruhig verhielt, tatsächlich hören konnte, wie sie loslegten? - So hungrig gewesen zu sein, und nicht gewußt zu haben, warum. Aber dann waren sie satt, und plötzlich wussten sie, wie Seide gesponnen wird."
Ob sie damit auf Hemingway angespielt hat?

Ich blättere noch einmal durch die Hemingway-Biografie. Und finde noch einen zweiten Satz über das Schreiben. Und den Menschen hinter den markigen Sprüchen.

Man erzählt der Presse, daß es einem nie besser gegangen ist, um ihnen nicht das Geheimnis unserer Profession zu verraten, die Notwendigkeit, alles durchzustehen.

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Wednesday, August 22, 2007

Zehn oder Fünfzehn



Eigentlich war ja G dran. Aber wie hätte ich an der nigelnagelneuen Murakami-Biografie vorbeilaufen sollen? Wo dazu noch ein zweites Buch von ihm im Regal zwei Räume weiter stand? Irgend jemand in der Stadtbücherei scheint auch auf Murakami zu stehen.

Die Biografie namens Melodie des Lebens heißt übrigens im Original "The Music of Words". Und um die geht es in dem Buch. Um die Bilder der Geschichten, um die Melodie der Sprache, um die Richtung, die Tonlage, in der sich Murakamis Bücher bewegen. Und um das Schreiben. Das sind für mich die spannendsten Passagen. Sie klingen wie eine Short Story aus Japan.

"Man braucht körperliche Kraft und Ausdauer", sagt er, "um in der Lage zu sein, ein Jahr lang en einem Roman zu schreiben und ihn dann während eines weiteren Jahres zehn oder fünfzehn Mal umzuschreiben."
Er beschloss zu leben, als hätte jeder Tag nur 23 Stunden, sodass ihm, ganz gleich wie beschäftigt er auch war, nichts davon abhalten würde, eine Stunde zu trainieren. "Ausdauer und Konzentration sind zwei Seiten derselben Medaille... Ich sitze ausnahmslos jeden Tag an meinem Schreibtisch und schreibe, egal ob ich dazu aufgelegt bin oder nicht, ob es mir schwer fällt oder ob es mir Spass macht.
Ich stehe um vier Uhr morgens auf und schreibe gewöhnlich bis Mittag. Das tue ich Tag für Tag - es ist das Gleiche wie beim Laufen -, ich gelange an einen Punkt, an dem ich weiß, dass ich das erreicht habe, was ich die ganze Zeit versucht habe. Für so etwas braucht man physische Kraft .. Es ist wie durch die Wand gehen. Man muss hindurchschlüpfen."

Das zweite Murakami-Buch heißt in allen Sprachen gleich: Tony Takitani. Die Entstehung des Buches verrät die Musik der Worte: "Ihn faszinierte der Name Tony Takitani, der auf einem alten T-Shirt stand, das er auf Hawaii für einen Dollar gekauft hatte."

Und mit diesem Namen, und einem bezaubernden Satz, fängt dann auch die Takitani-Geschichte an.

"Tony Takitani war wirklich Tony Takitanis richtiger Name."

Und dann waren noch.. die G-Bücher. Johann Wolfgang Goethe. Faust. Und eine Biografie. Günter Grass. Die Blechtrommel. Und eine Biografie. Vielleicht ein andermal. In einem anderen Jahr.

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Monday, August 20, 2007

Murakami and windows of the past



i started to read “Haruki Murakami and the music of words” - Jay Rubin's book on the author Haruki Murakami. it's both fascinating and humorous. also it includes thoughts on translation – Jay Rubin is the one who translated some of Murakami's book from Japanese to English. the odd thing is that some of the German Murakami books then were coming from this source – translated from English to German, instead directly from Japanese, as there aren't many translators who do this work.

and Murakami: he said that when he started to write his first novel, he started in Japanese. and that got him nowhere. then he wrote the first chapter in English. and that worked. and so, he translated it into Japanese, and moved on from that. the book is great. a mix of biography, the stories he wrote, his thoughts on writing, quotes from him, passages of books.

sitting out there, in the garden, reading, lingering, feeling the restlessness turning into flow, i felt the wish to make a pencil drawing of all the things and projects and people that are part of my days these days: the house here, the garden, 2028, the web world, blueprintreview, my parents, my sister, friends here ... it was good, another way of seeing what i am doing, where i am connected, where my energy goes, where it comes from.

and then found these lines in my horoscope:
“Also you put all the disparate parts of your life together into a complete picture, so that you can understand the whole.”

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some days later, while sitting there, on my cat place, looking out and seeing the rain start to fall while i read through the next chapter, i had to giggle in surprise, even though i have might read that before in an earlier place of the book: Murakami also did a lot of translations from American to Japanese. one of the authors he translates is John Irving. and another.. Truman Capote.

and another fitting thing – in this chapter, there are some insights into Murakami's way of working. he writes every day. gets up at 4, writes until noon. goes jogging, to keep himself fit. he also does marathons. and he makes an interesting comparison between jogging and writing – with a reference to zen:

“writing is like jogging. i come to a point when i know that i achieved something that until then, i only tried for all the time. it's like moving through a wall. you simply have to slip through it.”

he writes a novel in a year. and then spends another year doing rewrites. some parts he rewrites 10-15 times.

a thought i had about writing myself yesterday:

to write the first chapter,
you sit down and write the first chapter.
then you let what you wrote sink in.
until the time is right..
to sit down and write the first chapter.

step by step. layer by layer.

Thursday, August 16, 2007

twelve and paint



this afternoon, when i looked at the list of things to do, i didn't feel much like painting, but then started anyway, and it worked out better than i expected. sometimes it's good to start something, just intending to do a little bit, and then work more if it feels right, i thought. and while painting, i also tried to sort my thoughts for the June story and synopsis, and then again, didn't feel much like typing it out, but started anyway.. and it worked better than i expected. i want to work some more on it, then post it tomorrow.

also i thought about the idea of intercut storylines again, and remembered a book i bought onvce: “Twelve” by Nick McDonell's. it's a book in 98 short chapters, each one more like 1 or 2 scenes. it was his debut book. not sure if he wrote something afterwards. the interesting aspect is that it also switches between characters in the chapters.

here a amazon reader review to it:

"I ended up reading this book very quickly because I just couldn't put it down. The whole thing is so real that it almost hurts. I love the way McDonell switches between characters as it gives the novel a fast pace that stops the reader ever getting bored and moves things along swiftly, enhancing the sense of the city of New York, the city that never sleeps.”

Friday, August 10, 2007

Sommer Kreuzung



August. Die Tage werden schon wieder kürzer, entgegen jeder Juli-Intuition. Sie fühlen sich an wie Sommer, auch heute, obwohl ich Socken und Strickpulli anhabe, und die Temperaturen bei April hängen. Und es statt der Sonne Regen gibt. Nicht nur etwas Regen. Sondern Regenregenregen, seit Montag.

Seit Mittwoch bringt der Regen Überschwemmungen. Ungeplant. Wie das Geschenk, das in dem Paket lag, das vorhin hier ankam. Eine Online-Order. Mit Überraschungsextra, das eigentlich perfekt in die Jahreszeit passen würde. Theoretisch. Doch jetzt sieht er gleichzeitig witzig und traurig aus, der blauweiße Wasserball.

Er passt vielleicht nicht zum Wetter, aber zu dem Buch, das ich gerade lese - Summer Crossing von Truman Capote. Gefunden in der Bücherei, nachdem ich im Juli in der Zeit über Capote gelesen hatte. Auf deutsch ist es noch nicht erschienen. Vielleicht nächsten Sommer. Und dann hoffentlich nicht als Sommerkreuzung.

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(Nachtrag, Mai 2008:
Summer Crossing gibt es nun auf deutsch. Und es heißt - Sommerdiebe.)

Wednesday, July 25, 2007

das Nichts unserer Tage



Es sind Stolperwochen. Ruhelose Tage. Ich öffne die Zeitung, lasse die großen Seiten dann wieder zusammenfallen, falte sie weg. Mache das Fenster auf, mache es wieder zu. Und bleibe dann am glücken hängen, ausgerechnet. Es kommt mit Handke verführerisch handlich daher. Ich springe hinein. Und lande im Nichts.

Die Erfahrung: daß gerade ein Nichts an Tag (wo nicht einmal die wechselnden Lichter mitspielen, kein Wind, kein Wetter) die äußerste Fülle verhieß. Nichts war, und wieder war nichts, und wieder war nichts. Und was tat dieses Nichts und wieder Nichts? Es bedeutete. Es war mehr möglich mit nichts als dem Tag, weit, weit mehr, mir wie dir. Und darum ging es hier: das Nichts unserer Tage, das galt es jetzt 'fruchten' zu lassen, von Morgen bis Abend.

Das Glück und das Nichts. War das nicht auch, genau in dieser Kombination, in der Zeit aufgeblitzt? Nur, wo nun wieder? Müde gekämpft, lese ich. Gegenwartshunger. Und: Von Hasen und vom Igel. Dann finde ich ihn wieder: den Mönch, der über das Glück schrieb, hinter China, passenderweise.

Die meisten Menschen, sagt Ricard, verwendeten unendlich viel Energie darauf, dem Glück nachzujagen, indem sie Karriere machten, schöne Sachen kauften, ihre Freizeit optimierten. Doch sie unternähmen so gut wie nichts, um sich innerlich zu verändern, um ihr Wohlbefinden unabhängig von all den äußeren Einflüssen, die sich nicht steuern lassen, zu vergrößern. Warum aber tun sie nichts?
Nach Ricards Überzeugung glauben die Menschen im Westen, dass Unglück zum Leben gehöre und seine Auslöser nicht zu identifizieren, schon gar nicht zu verändern seien. Genau das sei falsch: Jeder habe die Möglichkeit zu 'inneren Transformation'.
"Es sind unsere Entscheidungen, Harry, weit mehr als unsere angeborenen Fähigkeiten, die zeigen, wer wir wirklich sind."

Der letzte Satz, er stammt nicht von Ricard. Sondern aus Rowlings neuem Harry Potter-Band, den zwar nicht ich, doch dafür die Welt gerade liest, auch die Zeit. Die liefert dann auch die Antwort auf das Rätsel, warum Harry Potter so bewegt. Eine Antwort, die den Kreis über den Osten zum Westen noch einmal schließt.

Es ist der Glaube daran, dass wir uns, bei allen Fehlern, die wir schon gemacht haben, entscheiden können und entscheiden müssen, der die westliche Weltsicht ausmacht und die unfassbare Strahlkraft - eines Kinderbuches.

Und nun, fragt die Gegenwart mich.
Und nun, Nichts, antworte ich.

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Tuesday, July 10, 2007

the pickup



today, a friend wrote to me, telling me about the film “The Bridge”. and about Truman Capote. just at the day i read an article about novels and novellas in the Zeit.

the article also made me think of the last book i was reading: Nadine Gordimer's “Occasion to Love” – in the german translation. which of course, is a step from the original. as Gordimer writes in English. which i am obviously able to read.

that's what i thought about when i stood in front of my book shelf, looking at the other library books i brought, and feeling like Hustvedt hat put it in her conjunctions-essay:

"maybe i need to read something. or read something else."

so i went to town, to go to the library - and they had one Capote in the english section: “Summer Crossing”. that's the very book the Zeit article referred to. i picked it. and then went to “G”. to find they have one of Nadine Gordimer's books in english: “The Pickup”.

i read the first 5 pages of it already. she is way better in original than in the german translation. the first sentence of the first chapter is a killer, just like the last:

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Clustered predators round a kill. It's a small car with a young woman inside it. The battery has failed and taxis, cars, minibuses and vans challenge one another, reproach and curse her, a traffic mob mounting its own confusion. Get going. Stupid bloody woman. Idikazana lomlungu, le! She throws up hands, palms open, in surrender.

There. You've seen. I've seen. The gesture. A woman in a traffic jam among those that are everyday in the city, any city. You won't remember it, you won't know who she is.

But I know because from the sight of her I'll find out – as a story – what was going to happen as the consequence of that commonplace embarrassment on the streets; where it was heading her for, and what. Her hands thrown up, open.

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ah. to be able to write like that.

Monday, July 09, 2007

versuche zu verstehen



Sonntag, diesmal mit Regen der eigentlich für den Abend angekündigt war, aber schon mittags aufkam, und die Welt in Wasser taucht.

Lesewetter, beschließe ich als ich wieder trocken bin, und ziehe mich auf meinen Katzenplatz zurück. Während draußen die Tropfen fallen, tauche ich in die Welt der Global Frequency ein. "Politisch provokantes explosives Storytelling," stellt Entertainment Weekly dazu fest. Na dann, denke ich. Und versuche zu verstehen.

"Bitte verstehen Sie das nicht falsch. Ich würde eine andere Lösung vorziehen," sagt Miranda Zero dort. "Aber es gibt niemand anderen für diesen Job. Selbst die G8-Staaten zahlen uns Schweigegeld. Für all das Grauen, das wir aufspüren. Schliesslich müssen wir uns vor den Dingen retten, die uns heimsuchen. Und manchmal darf man dabei nicht zimperlich sein."

Das Schöne an Global Frequency: die Guten sehen alle gut aus. Und auch das Böse ist hübsch klar als solches zu erkennen: die Heimsuchung ist dunkel und grauslig. Und kommt von einem Ort, der mit der Welt der normalen Menschen nichts zu tun hat.

Das Gegenstück dazu: Nadine Gordimer. Sie erzählt von der ganz normalen Welt, von der Ambivalenz von Gut und Böse. Von den Mechanismen, welche die Welt an manchen Orten zu der macht, die sie ist. In diesem Fall, in Anlaß zu lieben, von den psychischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer Ordnung, die darauf besteht, Recht und Gesetz je nach der Hautfarbe zu relativieren.

Die Stimmung des Abends, der hinter ihnen lag, war eine, die darauf verwies, daß Männer und Frauen weder gut noch schlecht, weder glücklich noch unglücklich sind, sondern in dem Versuch zu leben hier genossen und dort litten; unbesonnen, gelegentlich voller Glück, oft komisch. Mensch zu sein bedeutete, bei alledem miteinander Nachsicht zu haben.

454 Seiten lang ist der Anlaß zu lieben. Ich lese ihn in 4 Tagen. Und kehre mehrmals zu den sieben Zeilen von Jessie zurück, der weißen Frau, die zusammen mit ihrem Mann Tom einen Freund bei sich aufnehmen, und auch dessen Freundin Ann, welche sich dann in Boaz, einen Bekannten von Jessie und Tom verliebt. Eine fast übliche Liebesgeschichte, nur dass Boaz schwarz ist. Und dadurch für alles andere Regeln gelten. Die sieben Zeilen, sie stammen aus einem Brief, den Jessie schreibt, und den sie dann zu einem Ball zerknüllt, der auf dem Rasen liegen bleibt.

"...Erinnerst du dich an diese Seidenraupen, deren Kiefer nie stillstanden und die man, wenn man sich im Zimmer absolut ruhig verhielt, tatsächlich hören konnte, wie sie loslegten? - So hungrig gewesen zu sein, und nicht gewußt zu haben, warum. Aber dann waren sie satt, und plötzlich wussten sie, wie Seide gesponnen wird."

Vor Jahren hatte ich dieses - oder ein anderes - Buch von Nadine Gordimer schon einmal in der Hand. Neugierg auf den Inhalt, insbesondere weil "Nobelpreis für Literatur 1991" auf dem Cover des Buches stand. Damals war ich enttäuscht. Die Erinnerung daran reichte bis zu dem Besuch in der Bücherei. Dort nahm ich das Buch, legte es wieder zurück, nahm es dann doch. Zum Glück.

Es hat nur einen Nachteil: seit ich Gordimer gelesen habe, wirken die nächste Bücher nicht mehr wirklich anziehend. Und zu männlich. Günter Grass. Graham Greene. Maxim Gorki.

Daher erst einmal die Zeit. In der Georg Diez über die unerreichten Vorbilder für junge, ungezähmte Literatur schreibt, und sich dabei auf Maeve Brennan und Truman Capote bezieht. Und sich dabei interessante Gedanken darüber macht, warum Kurzgeschichten besser als Romane zum Leben passen.

So ist das Leben, es passiert, und wer versucht, es zu halten, hat schon verloren. Ein "buddhistisches Nickerchen" nannte der kürzlich verstorbene Kurt Vonnegut die Erzählung, es geht so dahin, dann ist es vorbei, ist da etwas gewesen, ein Leben, ein Schicksal? Tätiges Nichts-tun also, Gedanken in Bewegung, die sich an den offenen Enden verhaken, diese offenen Enden, die ein Geschenk für den Leser sind, weil sie ihm Raum lassen und Luft.

Tätiges Nichtstun. Das passt wiederum zu dem Spruch auf einem Plakat, das seit ein paar Wochen in der Bücherei hängt: "Faul sein ein Buch lesen ist nicht." Steht da.

Was lese ich jetzt als nächstes?

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Friday, July 06, 2007

Fragen des Tages




Bin ich diejenige, die den Garten zähmt -
oder ist der Garten derjenige, der mich zähmt?

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Und die andere Frage:

Sehen die kleineren Blüten von Sonnenblumen,
diejenigen, die sich zwischen den Blättern entwickeln,
immer so aus?

Und wenn ja,
wie kommt es, dass ich ihr Aussehen
noch nie bemerkt haben?

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Und dann noch zwei Zen-Frage aus der Zeit:

Wann beginnt die Gegenwart?

&

Wie wollen wir leben?

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Monday, July 02, 2007

Ausläufer einer fiktiven Existenz



Sonntag mit Sonne. Gras unter den Füßen, Schmetterlinge auf lila Blüten, Bücher auf dem Terrassentisch. Und: Ameisen im Rasen. Wo kommt ihr denn nun wieder her, frage ich. Statt einer Antwort treffe ich auf einen Termitenhügel, direkt auf der dritten Seite von dem Buch, das ich fast verpasst hätte: F wie Paula Fox. In der Bücherei einsortiert nicht unter F, sondern unter dem Sonderregal namens 'Moderne Unterhaltung'. Und dafür zeitlos gut.

In jener Zeit begriff ich, was Münzen und Scheine sind, aber nicht, was Geld ist. Fünf Dollar waren reell. Ich konnte sie so lange strecken, daß sie reichten. Allein der Gedanke an fünfzig Dollar versetzte mich in Verwirrung. Wieviel waren 50 Dollar?
Die Schauspielerin ZaSu Pitts verkörperte auf einem Reklamefoto - es machte Werbung für den Film Greed, gedreht im Jahr meiner Geburt, und zeigte sie in kauernder Haltung halbnackt zwischen Haufen von Goldmünzen, mit einem Ausdruck wahnsinniger Habgier auf dem Gesicht - meine Ansicht des amerikanischen Kapitalismus, als ich ein junges Mädchen war. Mit dem Älterwerden änderte sich meine Haltung gegenüber Geld. Ich begann zu verstehen, wie kompliziert es ist, wie einige Menschen es um seiner selbst willen anhäufen, getrieben von Kräften, die mir so geheimnisvoll vorkamen wie jene, die Termiten dazu bringen, in bestimmten Teilen der Welt Hügel von bis zu zwölf Metern Höhe zu bauen.
Zu derselben Zeit, in der ich begann, materielle Dinge zu erwerben, wurde mein Verlangen nach ihnen wach. Doch in mir blieb das Bild von ZaSu Pitts, die die Hände voller Goldmünzen ausstreckt, nicht als Angebot für andere, sondern um sich an ihrem Besitz zu weiden, ein Bild, ebenso verdammungswürdig wie triumphal.


Paula Fox. Sie wurde 1923 in New York geboren. Das Buch in meiner Hand, es ist zugleich Roman und Kindheitserinnerung: In fremden Kleidern: Geschichte einer Jugend, steht dort auf der deutschen Ausgabe, nur die Innenseite verrät den Originaltitel, im Kleingedruckten: Borrowed Finery: A memoir.

Die erinnerte Geschichte fängt bei Fox in Balmville an. Es folgen, kapitelweise, Hollywood, Long Island, Kuba. Dann New York, Florida, New Hampshire, New York, Montreal, New York. Und schließlich: Kalifornien.

Und darauf: das Lachen der Ameisen. Die Liste der Orte, eifrig zusammengeblättert, findet sich zu meiner Überraschung auch auf der letzten Seite des Buches. Inklusive Seitenzahlen.
Um wieviel einfacher wäre es, wenn man diese Liste im Leben vorher hätte, denke ich. Und lande bei dem anderen fast verpassten F-Autor. Max Frisch. Und seinem Gedanken-Theaterspiel, genannt: Biografie: Ein Spiel.

Was passiert? Kürmann, der erfolgreiche Wissenschaftler, darf sein Leben wiederholen, er darf es sogar verändern: wo immer er will, kann er eingreifen, Weichen anders stellen. Ein Wunsch, den jeder kennt: mit den Erfahrungen, die das Leben gebracht hat, dieses Leben noch einmal zu bestehen. Würde man Fehler vermeiden?
Frisch lässt das durchspielen. Zunächst will Kürmann beim Naheliegenden ansetzen: bei seiner gescheiterten zweiten Ehe. Dann sieht er, dass er weiter vorne neu beginnen muss. Doch immer, wenn ihm die Entscheidungssituation auf der Bühne noch einmal eingeblendet wird, ist er wieder in den alten Fesseln gefangen. Frischs Fazit: das Gedankenspiel, nach einem Probelauf wäre man reif für das richtige Leben, beruht auf einer Illusion.


Frisch selbst ist zwölf Jahre vor Fox geboren: 1911 in Zürich. Er war Architekt und Autor, Ehemann und Weltenbummler. All das, überschneidend in verschiedenen Kapiteln seines Lebens. Seine Biografie beginnt 1981, mit einer Begegnung und einem Zitat, das den Details einer Biografie eine interessante fiktionale Frage stellt:

Ein großer Teil dessen, was wir erleben, spielt sich in unserer Fiktion ab, das heißt, daß das wenige, was faktisch wird, nennen wir's Biografie, die immer etwas Zufälliges bleibt, zwar nicht irrelevant ist, aber höchst fragmentarisch, verständlich nur als Ausläufer einer fiktiven Existenz.

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Tuesday, June 19, 2007

Was das mit uns zu tun haben könnte



Manchmal passen Bücher. Manchmal passen sie nicht. Bei Kleidern ist es etwas einfacher, man kann reinschlüpfen. So schnell lässt sich das mit Büchern nicht klären. Daher nehme ich immer gleich einen Stapel aus der Bücherei mit. In der Annahme, oder eher, der Hoffnung, dass auch einige Titel dabei sein werden, die passen, zum Monat, zur Stimmung, zur mir, jetzt.

Ludwig Fels und Fruttero & Lucentini passen nicht. Auch nicht Fassbinder mit seinem Stück über den Müll, die Stadt und den Tod. Obwohl darin der Kleine Prinz einen Überraschungsauftritt hat, und die erste Szene mit redsamer Abendstille beginnt.

Auf dem Mond, weil er so unbewohnbar ist wie die Erde, speziell die Städte.
Frl. Tau/Miss Violet: Abendstille überall / nur am Bach die Nachtigall / singt ihre zarte Weiss / wohl klagend durch das Tal
Frl. Emma: Sie hätten verzichten sollen.
Asbach-Lilly: Wegen dieser bürgerlichen Drecksau? Ich bitte Sie. Die steckt ihn in ihre Fotze und weg ist er - sprachlos und ohne Glanz in den Augen.

Roma: Was nützt ihm in seiner Zelle der Glanz in den Augen. Und Sprache? Was ist das?

Dann vielleicht Franz Fühmann und Prometheus? Das Buch fängt immerhin mit Ziegenkindern an, die auch große Fragen stellen, ebenfalls mit einem Haken.

"Mämmi," fragten die Ziegenkinder, "Mämmi, was macht denn der Prometheus da oben? Es wird ja immer dunkler in unserem Tal?" Sie fragten natürlich in Ziegensprache.

Statt zum nächsten F-Buch greife ich zur Zeit. Und bleibe bei einem mehrseitigen Artikel hängen, in dem es um die Dokumenta geht, zudem um uns, die Kunst und die Welt.

Wenn diese Dokumenta also Panzer zeigt, geschundene Körper, die Dunkelheit des Krieges, dann nicht, um den Besucher einen kurzen, kräftigen Schauer zu verpassen. Anders als die Biennale in Venedig verdoppelt sie nicht einfach das, was ohnehin als grausam und übel gilt, sondern will wissen, was das mit uns zu tun haben könnte, mit der Art und Weise, wie wir die Welt ausdeuten, welche Rolle wir uns selbst darin zuschreiben.

Politisch ist diese Dokumenta mehrfach: Sie fragt, was von den alten Utopien noch trägt. Sie fragt, welchen Mustern wir trauen, welchen Formen wir Geltung einräumen. Sie fragt, wie sich unser Blick auf die Welt weiten lässt und ob sich damit unser Bild von der Welt verändern könnte.

Die Art und Weise, wie wir die Welt ausdeuten. Das hatte ich doch vor kurzem an anderer Stelle, in anderen Worten gelesen, denke ich. Und begebe mich auf die Suche. Die bei De endet. De wie Alfred Döblin, der eigentlich im April dran gewesen wäre. Und daneben, De wie Joan Didion, die eine Reihe über Döblin stand. Und die ich auch fast verpasst hätte. Obwohl ich ihr erst letzten September begegnet bin, in einigen Dingen, die bleiben. Obwohl sie es so wunderbar auf den Punkt bringt.

Wir erzählen uns Geschichten, um zu leben.
Wir deuten, was wir sehen, wählen aus den vielfältigen Möglichkeiten die brauchbarste aus.
Wir leben voll und ganz, besonders wenn wir Schrifsteller sind, indem wir nicht zu vereinbarende Bilder nach einer bestimmten Erzählweise einrichten und nach den 'Vorstellungen', mit denen wir die wechselnde Phantasmorgie unserer tatsächlichen Erfahrungen einzufrieren gelernt haben.


Komisch auch, denke ich, dass sich die besten De-Bücher mit Verspätung, aber dafür passend zur Dokumenta finden. Parallel zu dem Gedanken keimt eine Spur Hoffnung auf: Vielleicht wird es mir mit den F-Büchern auch so gehen.

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Thursday, June 07, 2007

Einbruch in die Freiheit



Die neue Zeit ist da. Jetzt mit farbigem Leben, in DinA4. Und mit ausklappbarem Blick. Auf Orte, die so noch nie zu sehen waren.

Dazu, im Literaturteil, sechs Seiten Lyrik, sonst nichts. Alles Lyrik, bestätigt die rechte Spalte dann auch noch einmal. Weil die Dichtung alle überfordert, ergänzt dazu Iris Radisch im Intro-Artikel, lässt sich davon aber nicht beirren, und macht sich stattdessen auf die Suche nach dem Geheimnis, das den Zauber von gebrochenen Zeilen auf Papier begründet:

Ein Gedicht, so spürt man, ist nie nur die Summe seiner Teile, sondern immer ein Organismus, der stirbt, wernn man ihn zerschneidet. Deswegen ist auch wahr, was oft behauptet wurde: Gedichte versteht man nur, während man sie liest. Nicht davor und nicht danach. Gedichte sind keine Gegenstände, eher Zustände. Deswegen können wir sie auch schlecht zu uns herüberziehen, in die Prosa unserer Verhältnisse. Wir müssen uns schon aufmachen, zu ihnen zu kommen. Nur so erfahren wir endlich einmal etwas vollkommen Neues.

Ich blättere zur nächsten Seite, gespannt auf dieses vollkommen Neue. Und treffe - Mascha Kaléko. Die Teil vom letzten Literaturcafe war, mit ihren Liebeszeilen, die jemand zum Thema Tod mitgebracht hatte - Das berühmte Gefühl.

Doch als ich starb zum dritten Mal,
Da schmerzte es nicht sehr.
So altvertraut wie Bett und Brot
Und Kleid und Schuh war mir der Tod.
Nun sterbe ich nicht mehr.


Mehr über Dinge, die neu sind, und Dinge, die niemals neu sind: eine Woche später, an der fast gleichen Stelle, eine Zeit weiter. Jiddu Krishnamurti, Einbruch in die Freiheit.

Das Denken ist niemals neu. Wenn wie einen Gedanken in uns erkennen, ist er bereits alt. So ist das, wovor wir uns fürchten, die Wiederholung des Alten, des Vergangenen, der Gedanke an das, was gewesen ist, projiziert in die Zukunft.
Wir fürchten uns vor dem Tod, das heißt vor etwas, das sich morgen oder übermorgen, im Laufe der Zeit ereignen wird. Es besteht ein Abstand zwischen der Wirklichkeit und dem, was sein wird. Es ist der Gedanke, der die Furcht vor dem Tod erzeugt. Und wenn er das nicht tut, gibt es dann überhaupt Furcht?

Ich blättere weiter, blättere zurück zum ausklappbaren Blick. Um den zu erhalten, hat der Fotograf seine Kamera an einem sechs Meter langen Arm befestigt. Und das Motiv dann aus Einzelaufnahmen zusammengesetzt. So gelangte er zu der neuen Perspektive.

Sechs Meter. Entspricht das nicht ungefähr auch dem Abstand zwischen der Wirklichkeit, und dem, was sein wird, wenn man die Lyrik nicht mitrechnet?

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Tuesday, May 22, 2007

Jener Zen-Rhythmus



An manchen Tagen kreisen die Gedanken ziellos wie Mücken unter einem Olivenbaum. Dann, ohne Ankündigung, fällt der richtige Satz zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Und eine Tür geht auf.

I also had this crazy idea
to take four days and
go to... Berlin. But this is far
more complex to arrange.

So I'm just tossing ideas
in the air right now and you
let me know how you feel
and what comes to your mind.


Schrieb mir E. aus Tel Aviv nach Pollenca. Und weil es in Pollenca seit diesem Jahr W-Lan gibt und weil Ideen jonglieren gut zu Dienstagen im April passen, klickte ich zur Seite der Fluggesellschaft mit den zitronengelben Flügelspitzen. Klickte Stuttgart. Und Berlin. Und lächelte.

Und jetzt, genau in der Woche vor dem Abflug, landet die 21. Zeit des Jahres im Briefkasten, und enthält, genau zum richtigem Zeitpunkt, ein Berlin Spezial. Mit Kurzanleitungen zum Berliner Understatement, und mit einem Ausflug über Paris, der zum optimalen Genussrhythmus von Berlin führt.

Sobald er in Paris ankommt, hastet er ohne Zeitdruck
durch die langen Gänge der Metro.

In Berlin liebt er den Zen-Rhythmus der öffentlichen Verkehrsmittel.
Berlin ist eine langsamere Stadt.

Man traut hier dem explizit modischen nicht über den Weg.
Man traut überhaupt allem frisch Gekauften nicht über den Weg.

In Berlin ist das Leben samtweich.
Nichts geht hier über ein wohlüberlegtes Maß Nachlässigkeit.


Dann war noch, zwischen letztem Dienstag und diesem Dienstag: das literarische Cafe. Mit dem Thema: Tod und Kreislauf des Lebens. Ich bringe weiße Iris mit. Und Marie Luise Kaschnitz. Die ihre eigenen Zen-Bilder in Worten zeichnet.

Abend

Nachleuchten des Abendlichts
Auf weißen Treppengiebeln
Pfaffenweiler
Und schlohigem Schneeballenbusch
Bei schon untergegangener Sonne

Nachleuchten einer Person
Licht aus den Todritzen
Aufsteigend Jahr um Jahr
Und doch kommt die Nacht
Ist die Nacht
Taubschwarze
Unabwendbar.


Das Gegenstück, oder vielleicht einfach die Weiterführung des Kreises - ein Jahrhundert früher, bei Eichendorff. Den ich fast nicht mitgenommen hätte aus der Bücherei. Und desssen Zeilen ich nun am Samstag auswendig lernte. Bei noch unaufgeganger Sonne.

Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.


Abra. Kadabra. Ist es. Nicht.

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Wednesday, May 16, 2007

Richtung West



Es ist Mai. Und damit, Zeit für E-Bücher. "E wie... ", fing ich den Satz an. Dachte, es wäre einfach. Ist es aber nicht. "Enzensberger," sagt I. "Evans," antworte ich. Dann folgt eine Denkpause. "Eco." Pause. "Ende." Pause. Und: Ende.

Daheim dann, der Blick ins Bücherregal. Und Tatsache: 15 A-Bücher. Aber nur 2 E-Bücher. Umberto Eco, Der Name der Rose. Und: Laura Esquivel, Bittersüße Schokolade. Oder eigentlich: Wie Wasser für Schokolade, wie der Originaltitel heißt. Como agua para chocolate. Ansonsten, E-bbe.

Drei Tage in der Bücherei ein ähnliches Bild: Regale voller A- und B- Bücher. Sogar bei C und D gibt es mehr als bei E. Hätte ich nicht gedacht. Aber dazu sind Experimente ja da: um unerwartete Ergebnisse zu ermöglichen. Immerhin findet sich in der Übersichtlichkeit des E-Regals Enzensberger einfacher. Sieben Bücher von ihm stehen da. Ich sehe rot, und greife zu. Die große Wanderung, heißt das Buch. Und führt direkt von diesem einen Raum in das Große und Ganze. In 33 Markierungen.

Eine Weltkarte. Schwärme von blauen und roten Pfeilen, die sich zu Wirbeln verdichten und gegenläufig wieder zerstreuen. Unterlegt ist dieses Bild mit Kurven, die farbig getönte Zonen verschiedenen Luftdrucks voneinander abgrenzen: Isobaren und Winde. Hübsch sieht eine solche Klimakarte aus; aber wer keine Vorkenntnisse hat, wird sie kaum deuten können. Sie ist abstrakt. Einen dynamischen Prozeß muß sie mit statischen Mitteln abbilden. Nur ein Film könnte zeigen, worum es geht. Der normale Zustand der Erde ist Turbulenz. Das gleiche gilt für die Besiedelung der Erde durch die Menschen.

Den Film gibt es dann ungeplant später. Die Richtung der Wanderung wurde dabei treffenderweise zur Filmkategorie: Western. Spiel mir das Lied vom Tod. Die Szenen so geladen mit Spannung und Musik, dass die Handlung in den Hintergrund rückt.

Und sie reiten immer noch, denke ich einen Tag später, als ich an einem gänzlich anderen Ort gleich wieder auf Colts und Cowboyhüte stoße: In der Villa Merkel. Brave Lonesome Cowboy heißt die Ausstellung. Dort, zwischen einer Wy-o-ming Videoinstallationen und einem Bild vom letzten Mohikaner, finden sich auf einem Begleitblatt Gedanken zum Grundmuster des Genres, diesmal ohne Bild, ohne Pfeile, nur in Worten.

Die narrativen Strukturen und die Motive des Westerns sind ungebrochen faszinierend: in den Filmen wird Neuland zivilisiert oder es werden gesellschaftliche Ordnungen implimentiert sowie Aufbrüche gewagt. Verführerisch ist die fast naive, zumindest plakative Idee des Guten. Dabei tritt das Gute immer von außen zur Regelung dessen auf, was in einer Gemeinschaft aus dem Ruder läuft, und bleibt dabei letztlich immer beziehungslos zu eben dieser Gemeinschaft.

Der Lonesome Cowboy. Der glorreich in den Sonnenuntergang reitet. Richtung West.

Interessanterweise hat auch 'Spiel mir das Lied vom Tod' im Original einen anderen Titel: 'Once Upon a Time in the West'. Genauso wie das Eco-Buch, das ich zusammen mit Enzensberger und diversen anderen E-Büchern auf meine Wanderung durch die Wortwelt mitnahm. 'Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß' heißt es auf deutsch. 'La Bustina di Minerva' auf italienisch. Und enthält eine Gedankenreise in 41 Essays, die - ungeplant parallel zu Enzensberger - mit 'Migration' beginnt. Und dann kurz vor dem heiteren Ende ('Wie man sich heiter auf den Tod vorbereiten kann') ein weiteres kulturelles Grundmuster ausleuchtet: das der Klassiker. Ein Grundmuster, das vielleicht auch meiner alphabetische Buchreise innewohnt.

Die Lektüre der Klassiker ist eine Reise zu den Wurzeln. Oft sucht man die Wurzeln nicht aus Sehnsucht nach etwas, das man gekannt hat, sondern in dem vagen Gefühl, daß man aus einem unbekannten Stamm hervorgegangen sein könnte.
Die andere schöne Überraschung, die uns die Klassiker oft bereiten, ist die Erkenntnis, daß sie moderner waren als wir.


Es warten noch: Eichendorff, Eliot, Esterhazy.

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Monday, April 23, 2007

Mit Kafka zum Strand



Montag morgen auf Mallorca. Nach dem Frühstück schauen wir noch am Kiosk vorbei, um Getränke in Dosen ganz ohne Pfand zu holen. Dabei sehen wir den neuen Spiegel. Früher brauchte der zwei bis drei Tage, bis er hier ankam. Nun ist er so schnell wie daheim. „Mitnehmen?“ fragt Ronnie. Ich schaue das Titelbild an. „RAF - Der Dritte Mann“, verkündet es düster in schwarz-weiß-rot. „Weiß nicht,“ sage ich. Einen Moment später hat Ronnie die Seiten in der Hand. Mein Blick fällt aufs nächste Regal. Dort liegt, aufgebauscht verpackt wie für verspätete Ostern, die spanische Variante der Vogue, genannt Glamour: „La Revista de Moda Más Vendida de Espana“. Mit pinkfarbenen Titel und mit modisch schwarzer Mangotasche als Extra. Mmmm denke ich, ziehe das bunte Stück aus dem Regal, und lege es mit einem Lächeln neben dem Spiegel auf den Tresen. News für den Mann, Chic für die Frau. Die spanische Kassiererin lächelt zurück. Gracias, sage ich als sie mir die Tüte hinhält. Bitte, antwortet sie.

Eine Stunde später liegen Glamour und Terror glücklich unberührt vereint neben dem Mallorca-Reiseführer, während ich in der Zeit-Literaturbeilage blättere. Dort geht es um Ingo Schulzes dreizehn Geschichten in alter Manier. „Nichts ist, wenn man es genau nimmt, ohne Belang, überall ist Wunderland,“ stellt die Zeit in der Rezension fest. Und fügt dann ein Zitat aus einer anderen Epoche, von einem anderen Menschen an, das nicht nur deshalb hängenbleibt, weil es so erstaunlich gut zu dem Haruki Murakami-Buch passt, das ich gerade lese, und das ich gerade eigentlich doch lieber als Rezensionen lesen würde. Aber erst notiere ich das Zitat, von Kafka.

Das ganze Leben ist eine einzige Ablenkung,
die nicht einmal darüber zur Besinnung kommen lässt,
wovon sie ablenkt.


Dann greife ich mir das Murakami-Buch. Kafka am Strand. Und verabschiede mich von der Zeit an genau diesen, um dort zu den Zeilen zurückzukehren, bei denen ich gestern aufgehört habe zu lesen, weil sie wirklich für heute gedacht waren.

Es ist Montag, und die Bibliothek ist geschlossen. Es ist dort immer ruhig, aber am Ruhetag ist es äußerst still. Die Bibliothek wirkt wie ein von der Zeit vergessener Ort. Oder wie einer, der so leise atmet, dass die Zeit ihn übersehen hat.

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Saturday, April 21, 2007

Im unterwegs sein bleiben



Was hatten Sie sich für diesen Urlaub hauptsächlich vorgenommen?, fragt wissbegierig das kleine Buch, das mir von der Thomas-Cook-Kundenabteilung zugeschickt wurde. Es ist Teil einer Studie, für die ich per Zufallsprinzip ausgewählt wurde. Als kleines Dankeschön gibt es zu dem kleinen blauen Buch ein Voucher für zehn Kilo Freigepäck. Pro Person. Damit erledigt sich einer der Vorsätze für diesen Urlaub bereits vor dem Abflug: weniger mitnehmen.

Stattdessen stocke ich meinen Bücherstapel kräftig auf. Zu Adolf Muschg und Haruki Murakami, die beide schon seit Weihnachten warten, gesellt sich nun Zadie Smith von Amazon. Und Fjodor Dostojewski aus der Bücherei. Dazu, ein Buch das es noch gar nicht gibt, aber genau für die Zeit auf Mallorca passt: eine philosophische Reise von Peter. Und dann, um auch die letzten freien Kilos mit Inhalt zu füllen, ein Zen-Buch von Inge. Auch blau.

Hiermit beantwortet sich auch die Cook-Frage nach dem Ziel dieses Urlaubs: unterwegs sein. An einem anderen Ort, unter einem anderen Himmel, in Gedanken, am Strand. Diese Antwort ist – genauso wie der Vorsatz, weniger mitzunehmen - leider nicht vorgesehen. Dafür finden sich im ersten Kapitel der philosophischen Reise weitere gedankenvolle mögliche Antworten.

In der Fremde findet sich das Eigene, und ineins damit blitzt die vage Hoffnung auf, das eigene Leben könne sich runden. Eine Hoffnung, mehr nicht, doch mehr soll es auch nicht sein, darf es nicht sein, mehr wäre weniger, denn nur die Hoffnung treibt, nicht aber die Gewissheit. – Wie war das doch, Reisen als Nahrung für die Seele?

Zu meiner Überraschung beginnt auch das Muschg-Buch mit einer Reise. Die zuerst einmal nach Lausanne führt, und bei der es Vordergründig um Musik geht, aber zum gleichen Teil auch um das Suchen und Finden.

Plötzlich fiel Leuchter auf die Knie und begann, erst unter seiner, dann unter Sumis Bank nach etwas zu suchen, als gelte es sein Leben. Als er sich aufrichtete, hatte er Tränen in den Augen. Verloren, sagte er.
Hier ist etwas, sagte sie. Sie hielt ihm ein kleines, würfelförmiges Paket hin, das in Seidenpapier gewickelt war.
Wo hast du das her?
Es ist dir gerade herausgefallen, sagte sie.
Warum hast du das nicht gleich gesagt?
Du musstest erst mit Suchen fertig sein.

Die Reise nach Lausanne, sie führt wiederum zu einer anderen Reise, später, und weiter, bis zu einem Tempel in Kyoto. Zu dem, ganz wortwörtlich, ein Philosophenweg führt.

Der Philosophenweg war menschenleer, der Wald knisterte und tropfte. Bambuswedel bogen sich unter der Nässe, von der Dachrinne lief Waser über geschmiedete Ketten oder Stränge kupferner Glöcklein.
Wenn du dem Buddha begegnest, töte den Buddha, sagte Ayu.
Wer sagt das? fragt Leuchter.
Zen. Davon verstehen Sie sicher mehr als ich.
Ich verstehe gar nichts.
Dann haben Sie es nicht mehr weit zur Erleuchtung.

Auch das blaue Zen-Buch führt mich zu einer Episode nach Japan. Zu einem Meister des Bogenschießens und zu seinem Schüler. Und zur Frage, worum es sowohl beim Bogen und dem Pfeil, als auch allen anderen Zielen geht.

Denn worauf kommt es denn an? Doch nicht aufs Treffen! Beim Bogenschießen, sowenig wie beim Erlernen irgendeiner anderen Kunst, geht es letzten Endes nicht um das, was herauskommt, sondern um das, was herein kommt! Herein, das heißt, in den Menschen herein. Das Üben im Dienst an einer äußeren Leistung dient über sie hinaus dem Werden des inneren Menschen. Und was gefährdet dies innere Werden des Menschen vor allem? Das Stehenbleiben im Gewordenen! Im Zunehmen bleiben muß der Mensch, im Zunehmen bleiben ohne Ende!

Im Zunehmen bleiben. Im unterwegs sein bleiben. Um in der Fremde das Eigene zu finden, jenseits des Suchens.

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Sunday, April 08, 2007

Carmina Universa



Das Universum ist tonlos, tonlos wie die Zeit an sich. Das ist, was ich in der Schule lernte. Auch all die Science-Fiction-Filme, die lautstark interstellare Phaser-Kämpfe in Zeitlupe auf Großleinwand zelebrierten, konnten mich da nicht in die Irre führen.

Das Universum ist still, still wie die Steine, wie die Kiesel am Weg, wie die Atome und Elektrone, aus denen alles sich zusammengefügt. Denke ich. Blättere durch die raschelnden Papierseiten der Zeit. Und lande bei einer neuen Welttheorie. Die in Oberfrequenzen tönt.

Die sogenannte Stringtheorie. Wenn sie stimmt, dann hängt buchstäblich der Himmel voller Geigen. Das Universum besteht demnach aus nichts als winzigen schwingenden Saiten - eben Strings. Je nachdem, mit welcher Oberfrequenz ein String vibriert, wird er zu dieser oder jener Teilchensorte.

Obertöne, echot es in meinen Gedanken, während meine kleinen grauen Zellen bei der Vorstellung eines String-Universums anfangen, sich um ihre eigene Achse zu drehen. Die Stringtheorie hat noch eine zweite sympathische Eigenschaft: sie lässt sich mit den Mitteln, die der Menschheit momentan zur Verfügung stehen, nicht beweisen. Die Strings sind zu winzig, um sie in Laborgeräten auszuloten.

Zwei Tage später sitze ich auf den Kieselsteinplatten im Garten, und lese in dem Buch, dass ich aus der Bücherei mitgenommen habe, des Titels wegen: Ernesto Cardenal. Wortseelen -Waldmenschen. Band 6 aus seinem poetischen Werk. Ich blättere zufällige Seiten auf, und lande zwei Mal an der gleichen Stelle, bei einem Gedicht der Araukaner aus Chile.

Ich muss wieder beten wie früher,
Wie früher muss ich die Stimme erheben.
Zum Blauen König werde ich beten.
Zur Blauen Königin werde ich beten.
Wie der Gesang des Vogels rupkadiuka sei mein Gesang.
Ich lebe, und ohne Furcht ist mein Herz.
Keine Leere ist geblieben.
Mein Herz wird singen.

Gedichte, nicht geschrieben von Cardenal, sondern gesammelt von ihm auf den Kontinenten der Welt. Die Erklärung dazu, im Vorwort, das Worte und Bedeutungen auf mir unbekannte Wurzeln zurückführt: das lateinische Wort carmen (Gesang) kommt vom sanskritischen Wort karma (rituelle Handlung), skizziert es.

Karma. Carmen.

Und dann - J.M. Coetzee. Keine Wissenschaft, sondern ein Roman. Schande, heißt er auf deutsch. Im Original: disgrace. Keine Poesie, vom Titel her. Doch die Hauptfigur: ein Professor für Romantische Lyrik an der Technischen Universität von Cape Town. Der sich als Dozent für Kommunkation wiederfindet, und nebenbei ein wenig Lyrik lehren darf.

This year he is offering a course in the Romatic poets. For the rest he teaches Communications 101, 'Communication Skills', and Communications 201, 'Advanced Communication Skills'.
Although he devotes hours of each day to his new discipline, he finds its first premise, as enunciated in the Communications 101 handbook, preposterous: 'Human soeciety has created language in order that we may communicate our thoughts, feelings and intentions to each other.' His own opinion, which he does not air, is that the origins of speech lie in song, and the origins of song in the need to fill out with sound the overlarge and rather empty human soul.


Human souls.
Wort seelen.
String universen.

Strike a chord....

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Thursday, March 29, 2007

Reisen in die Nacht



Ich gestehe. Ich habe die letzte Ausgabe der Zeit weder wegen der Energiekrise noch wegen den Nachrichten aus der Wissenschaft gekauft. Sondern wegen dem kleinen gelben kreisförmigen Objekt, das auf der Mitte der Beilage hing. Und in Wirklichkeit zu dieser Zeit halbkreisförmig war, und sich schon mitten am Nachmittag zeigte. Und wesentlich größer als die Zeitbeilage ist. Dem Mond. Und die Reisen in die Nacht, die er begleitet.

Was ist nun das Besondere an Reisen in die Nacht? Man sieht nicht, was auf einen zukommt. Das Vertraute wird fremd. Über das Fremde wiederum rollt sich die schwarze Leinwand, auf der wir etwas Vertrautes sehen: unsere eigenen Gespenster. Diese Unheimlichkeit ist, was Reisen aufregend macht. In der Nacht sind wir alle Touristen.

Diese Unheimlichkeit der Nacht, sie zieht sich auch durch den Vertigo-Band von Neil Gaiman. Sandman, heißt der, und als zweiter, deutscher Titel: Ewige Nächte. Der Band beginnt mit einer zweiseitigen Einleitung, die für sich schon eine Geschichte ist, alles und nichts erklärt, und so wunderbare Minigeschichten wie diese aus Turin umkreist:

Gestern wurde ich in einem Hotel in Turin gefragt, ob ich die Geschichte des Sandman in fünfundzwanzig oder weniger Worten zusammenfassen könnte. Ich überlegte einen Moment.
"Der Herr der Träume lernt, dass man sterben muss, wenn man sich nicht ändert, und trifft eine Entscheidung."

Das ganze wird im Sandman dann noch besser. Dies hier ist, in etwas mehr als fünfundzwanzig Worten, meine bisherige Lieblingsszene:

"Ich sollte dich warnen. Bekommen, was man will, und glücklich sein sind zwei ganz unterschiedliche Dinge."
"Das weiss ich - gibst du mir nun, was ich will?"
"Natürlich nicht. "
"Was gibst du mir dann?"
"Ein Lächeln, und ich kürze dir den Weg ab. "
"Und was willst du dafür?"
"Alles. Was sonst könnte man wollen?"

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Und dann ist noch - Paul Celan. Dessen Biografie - wie die von Simone de Beauvoir, von Rose Ausländer - gleichzeitig eine Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts ist. Schmerzhaft, grausam, weit weg und dennoch sehr nah. Und eine Überraschung mit sich bringt. Celan und Ausländer. Sie stammen beide aus dem gleichen Ort. Czernowitz, in der Bukowina, die neben dem Burgenland liegt. Oder bessergesagt: lag. Nichts ist mehr so, wie es war.

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Friday, March 16, 2007

Paris, Joyce, Beckett



Manchmal gibt es zwischen Büchern unsichtbare Verbindungen. Orte und Namen, die an verschiedenen Stellen unterschiedlicher Bücher auftauchen, und eine eigene Geschichte schreiben, jenseits der Inhaltsverzeichnisse. Ich hätte es ahnen können, immerhin steht es auf Djuna Barnes Buch in weiß auf rot. Paris. Joyce. Von dort sind es nur ein paar Schritte zum Café Aux deux Magots, an dem Barnes ihn sieht, und erkennt.

In dem Augenblick, als ich ihn sah, schoß mir die Bemerkung eines seiner schwärmerischen Verehrer durch den Sinn - "Ein Mann, der wie kein zweiter Schriftsteller unseres Zeitalters ans Kreuz seiner Sensibilität geschlagen worden ist" - und ich sagte mir: Eine merkwürdige Art, einen Mann zu erkennen, den ich noch nie zu Gesicht bekommen habe.
Weil er vom Verbot der Little Review wegen des Ulysses-Abdrucks gehört hatte, setzte er sich zu mir, die ich mit der ganzen Geschichte vertraut war, und bestellte einen Weißwein. Er begann sofort zu reden. "Das Bedauerliche ist," sagte er, "das Publikum wird von meinem Buch eine Moral verlangen und sie darin auch finden - oder schlimmer noch, man wird darin womöglich etwas sehr Ernsthaftes erblicken, und ich gebe Ihnen das Ehrenwort eines Gentleman darauf, daß sich darin nicht eine einzige ernsthafte Zeile findet."

Nach Barnes dann Burroughs. Die Vier Apokalyptischen Reiter. Und ein Irrtum: das Buch ist keine Novelle, sondern ein Vortrag. Gehalten von Burroughs 1984, bei der Planet Earth Conference. Es beginnt mit einer Kurzbiografie. Oder eher: einer Kurzcharakerisierung, die neben einer MickeyMouse-Karrikatur steht, und sich wie Zeilen eines futuristischen Romans liest.

Er lebte in Tanger, Paris, London, New York. In seinem Werk brachte er die Cut-up-Technik zur Anwendung, eine komplizierte Montagetechnik, mittels derer die Macht des von der linken Gehirnhälfte gesteuerten linearen Denkens gebrochen und Assoziationsmuster bildende Aktivitäten der rechten Gehirnhälfte angeregt werden sollen.

Dann der Vortrag. Und die unerwartete Fortsetzung des Diskurses über Kunst, der Anfang Februar mit einem Zitat von Paul Klee zu Paul Auster führte, und seiner Aussage "The true purpose of art was not to create beautiful objects, he discovered. It was a method of understanding, a way of penetrating the world and finding one’s place in it." (aus: Moon Palace / Das Unsichtbare sichtbar machen). Und nun, Burrroughs. Einen Monat später. In überraschend klaren und ungecutteten Worten, die sich in gleich zwei Richtungen verbinden, einmal mit Auster, und einmal mit Ulysses.

Kunst und kreatives Denken haben meiner Meinung nach die Funktion, die Menschen auf etwas aufmerksam zu machen, das sie innerlich bereits wissen, aber noch nicht als Faktum anerkennen. Die Leute wußten, die Erde ist rund, sie glaubten, sie wäre flach. Als Cezanne zum ersten Mal ausgestellt wurde, begriffen die Leute nicht, daß es sich um Gegenstände in bestimmtem Licht, aus einem bestimmten Blickwinkel gesehen handelt. Das brachte sie dermaßen auf, daß sie die Leinwand mit Regenschirmen attackierten. Heute sieht jedes Kind: Dies ist eine Birne, dies ist ein Fisch. Ist der Durchbruch einmal geschafft, setzt sich das im allgemeinen Bewusstsein fest. Wie Joyce, der die Leute auf ihren eigenen Bewusstseinsstrom aufmerksam machte. Heute wird kein Mensch mehr auf den Gedanken kommen, den Ulysses als unverständlich einzustufen.

Also ob das nicht genug des Zufalls wäre: Samuel Beckett. Von dem ich nur wusste, dass er Ire war, Warten auf Godot geschrieben hat, und den Literaturnobelpreis bekam. Was ich nicht wusste - aber man ahnt es bereits: Beckett ging nach Paris. Und traf dort... Joyce. Was kein wirklicher Zufall ist.

Paris ist Ende der 1920er Jahre das künstlerische Zentrum der Welt und deshalb für den Aufenthalt eines jungen Mannes ein famoser Ort.
Joyce - er schreibt nicht über etwas, sein Schreiben ist dieses etwas selbst. Als ich ihn kennenlernte, hatte ich nicht vor, Schriftsteller zu werden. Das kam erst später, als ich herausbekam, daß ich überhaupt nicht zum Lehrer taugte.


100 Seiten weiter in der Biografie hat die Zeit das Jahr 1969 erreicht. Beckett lebt in Ussy, schreibt auf französisch, und geht seiner Lungen wegen in Winterurlaub mit seiner Frau nach Tunesien, wo das Paar von Dauerregen und Überschwemmungen heimgesucht wird, die sie ans Mittelmeer vertreiben. Dort erreicht Beckett, der nicht bereit ist, öffentlich aufzutreten, eine weitere Katastrophennachricht in Form eines Telegramms: "Trotz allem haben sie Dir den Nobelpreis verliehen - Ich rate Euch, unterzutauchen."

Und auch bei Beckett liest sich die Biografie wie ein Roman. Und schließt den Kreis um Paris.

Zu den Problemen, die der Nobelpreis Beckett einträgt, zählt das Preisgeld von immerhin 375.00 Kronen. Den Preis nimmt Beckett an ("es wäre unhöflich, ihn zurückzuweisen"), doch das Preisgeld gibt Beckett weiter. Im Gegensatz zu Joyce - "Der hätte es auszugeben gewusst" - hat Beckett keine Verwendung für so große Summen, und bittet seine Verleger um Adressen von Autoren, die Geld gebrauchen können. Das gesamte Preisgeld verteilt er anonym an Schriftsteller - darunter auch Djuna Barnes, die Beckett aus den Jahren gemeinsamer Joyce-Bekanntschaft kennt.

Barnes, Burroughs, Beckett
Paris, Joyce, Paris

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