Sunday, September 02, 2007

Der alte Mann und die Worte



Von Hemingway gibt es ungefähr 20 Bücher, und dazu noch einmal so viele Biografien. Wo anfangen? Ich ziehe ein Buch nach dem anderen aus dem Regal. Der alte Mann und das Meer - hatte ich schon ausgeliehen. Inseln im Strom - habe ich auf englisch in Frankreich gelesen. Schließlich bleibe ich bei dem Sammelband "Stories I" hängen. Und packe als Hintergrund für die Stories die Rororo Biografie von Hans-Peter Rodenberg dazu.

40 Seiten und 3 Stories weiter wird mir vor allem bewusst: Ich wusste nicht, dass Hemingway an so vielen Orten war. Und zugleich so weit davon, sich selbst sicher zu sein.

Das Trauma der Kindheit verließ Hemingway nicht, er wollte - mußte - ein richtiger Mann sein, kein verweichlichter Intellektueller. Auch äußerlich gab sich Hemingway proletarisch, trat mit Baskenmütze und grober Kleidung auf, um sich von der Schickera der Cafészene und der amerikanischen Literaturbohème abzusetzen. Schreiben, das war Arbeit und nicht Provokation wie bei den Dadisten oder Surrealisten. Alles, was du tun mußt, ist einen wahren Satz zu schreiben, sollte er später über diese Zeit urteilen. Schreib den wahrsten Satz, den du weißt.

Erst weitere 20 Seiten und 2 Stories weiter fällt mir ein, dass es hier irgendwo auch ein Hemingway-Buch geben muss. Und ja. Da steht es. Ein blaues Hardcover, von 1966. Ich öffne es. Und muss lachen. Von allen Büchern in der Bücherei habe ich das ausgewählt, das bereits bei mir im Regal stand. Nur, dass das blaue Buch eine zusätzliche Geschichte enthält: Der alte Mann und das Meer. Never judge a book by its cover, denke ich.

Und noch eine Querverbindung - durch ein Zitat in der Biografie lese ich eine der Geschichten, die ich sonst vielleicht übersprungen hätte. Was schade gewesen wäre. Denn damit hätte ich die Seidenraupen verpasst.

In jener Nacht lagen wir im Zimmer auf dem Fussboden, und ich hörte dem Fressen der Seidenraupen zu. Die Seidenrapen fraßen Maulbeerblätter auf den Hürden, und die ganze Nacht über hörte man sie fressen und ein fallendes Geräusch in den Blättern. Ich für mein Teil wollte nicht schlafen, weil ich schon sehr lange mit dem Wissen lebte, daß meine Seele, falls ich je im Dunkeln die Augen zumachte und mich gehen ließ, meinen Körper verlassen würde.

Falls ich mich gehen ließ. Und die Seidenraupen - sie kamen fast auf die gleiche Art in Nadine Gordimers Roman vor. "...Erinnerst du dich an diese Seidenraupen, deren Kiefer nie stillstanden und die man, wenn man sich im Zimmer absolut ruhig verhielt, tatsächlich hören konnte, wie sie loslegten? - So hungrig gewesen zu sein, und nicht gewußt zu haben, warum. Aber dann waren sie satt, und plötzlich wussten sie, wie Seide gesponnen wird."
Ob sie damit auf Hemingway angespielt hat?

Ich blättere noch einmal durch die Hemingway-Biografie. Und finde noch einen zweiten Satz über das Schreiben. Und den Menschen hinter den markigen Sprüchen.

Man erzählt der Presse, daß es einem nie besser gegangen ist, um ihnen nicht das Geheimnis unserer Profession zu verraten, die Notwendigkeit, alles durchzustehen.

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