Sunday, March 26, 2006

Das Wesen der Bäume



Sonntag morgen. Literarisches Cafe in Köngen. Auf dem Weg, die Bäume, die ich letzte Woche besucht haben. Die Bäume, in denen die Graureiher jetzt nesten. Sie waren schon seit Jahren da. Keine 3 Minuten von der Kreuzung am Ortseingang. Seltsam, wie lange man machmal für solche Wege benötigt.

Dann das Cafe. Wie eine Lichtung in Zeit und Raum. Hier könnte auch 1996 sein. Oder 1986. Der Boden, Holz. An den Wänden, Aquarelle, fließende Bäume, in denen sich durch die Fenster echte Äste des Gartens spiegeln. Und dann, Zeilen zum Wesen derBäume, ebenso fließend und sich spiegelnd, in den verschiedensten Stimmen. Hermann Hesse und Hannes Wader. Beatrice Fabricius und Hilde Dorin. Rainer Maria Rilke und Ingeborg Bachmann. Zusammen ergeben sie eine Lichtung im Wald der Blätter:

Bäume haben
Lange Gedanken
Mit jedem Jahr bauen sie
Ihre Gestalt aus

Leben einzeln und frei
Und dabei
Brüderlich wie der Wald
Der Gedanke ist alt

Er gehört zum Herbst
Der milde führt
Vom Tun zum Sein

Dann weiter zum Reigen,
Zum Schweigen
In der rosa und weißen Sprache
Der Frühlingsknospen.

Man müsste weggehen können
Dann zöge die Landschaft vorbei
Die Felder und Wälder
Straßen und Orte

Und dort,
am Ende der Ebenen

Hinter der Welt
Wird ein Baum stehen.

- Hesse /Wader / Fabricius / Dorin / Bachmann

~~

(nachgetragen am 13.4.
auch seltsam, wie lange man manchmal für Zeilen braucht.
und dann, eines Tages, wenn man denkt das wird nichts mehr
finden sie sich auf dem Weg mit den Weidenkätzchen)

~~

und ein weiterer Nachtrag, 2 Jahre später, Zeilen aus einem Brief:


Mich hat damals beim Thema Bäume auch ein anderes Gedicht beeindruckt.
Ich weiss nicht, ob Du Dich erinnerst, es ist von Johann.
- M.


Wachsen

Und irgendwo im Garten hinten denkt ein alter Baum, da vorn der Mensch, der stille alte Mensch, er ließ mir meine Würde, meinen Raum zum Traum, er zog mich nicht in seine kleine Welt.

Und blieb er aus im Frühling lang, der warme Regen, er sah oft her, doch bracht kein Wasser er, ließ meine Blätter, meine Wurzeln meine Dinge regeln, ich wurde ich und so für ihn viel mehr.
Und nach dem Sturm ließ er mich meine wunden leben, er teilte nur mit mir den gleichen reichen Wind.

Sein eignes Leben gut zu leben war für ihn genug an Streben, er ahnte, dass der Bäume Träume keine Menschenträume sind.

Wednesday, March 15, 2006

Saxophon & Sappho



Lisa im Wörterland. Abenteuer Wortwelten. Die Seiten, unnummeriert und bunt. Das Mädchen, das durch sie einen Weg sucht, mit einer achtspitzigen Frisur. Einem roten Kleid. Und einem Saxophon. Den Büchern von Sappho, Jane Eyre und Anais Nin im Regal hinter sich. Und dem Wunsch, die richtigen Worte zu suchen, um sie auf das Blatt Papier vor sich zu schreiben. Doch dann ruft die Mutter sie zum Essen und zu den anderen wichtigen Dingen des Lebens.

"Lisa! Du hast den ganzen Morgen nur in deinem Zimmer gelesen und geschrieben! Komm schon! Das Essen ist fast fertig. Ein junges Mädchen lebt nicht nur von Gedankennahrung und Wissensdurst"
- Matt Groening

Und da beginnt die Geschichte, die wie alle gute Geschichten auch nach dem N D weitergeht. In Gedanken. Im Hintergrund. Für eine Zeit ohne Worte. Bis diese dann in einem anderen Buch, auf einer anderen Seite wieder einsetzen.

"Sie konnte sich selbst nicht drängen, schnell fiel ihr nichts zu, viel war schon, daß jetzt häufiger eine Ahnung durchschien, worauf das alles hinauslaufen soll, dann aber, wie es sich für sie versteht, gleich mit Verzweiflung gemischt: Es fasste sie plötzlich eine große Angst, daß sie nicht schreiben konnte, dass es ihr versagt sein werde, je in Worte zu fassen, was sie erfüllte."
- Christa Wolf, Nachdenken über Christa T.

So dreht sich das Blatt, und kreist weiter im Wortland. Überquert den Ozean, und landet dort ungeplant mitten in einem Vorabausblick auf Tradition vs. Experimentation, und dort auf den zweiten Klick bei Fragmenten von - Sappho.

"the mystery
became a body water
a creek or like
creek
she sat down
in it"
- Tiff Dressen


Wie ging das nun wieder, frage ich mich, und schaue kurz ins Regal hinter mir, in der jedoch gerade weder Nin noch Eyre steht, sondern dafür das diesmal simpsons-gelbe Kinoprogramm vom Koki. Mit einem speziellen Filmtipp für den Monat März: Urlaub vom Leben im KoKi. Von Neele Leane Vollmer, Absolventin einer Filmakademie die sich drei Orte weiter findet, in Ludwigsburg. Und einen Film gedreht hat, der in Bremen spielt. Und nun in Esslingen läuft. Laut Vorschau ein leiser, präziser, entspannter Film, der einfach vom Leben erzählt (was eine ganze Menge ist) und bei dem es sich lohnt, genau hinzuhören.

Eine Schlüsselstelle des Films: Ein Mann geht zu seinem Arzt, weil ihm immer wieder schlecht wird. Doch sein Arzt kann keinen Grund dafür finden. "Geht es Ihnen eigentlich gut?", fragt dre Arzt dann den Mann. "Ja, sicher," antwortet der. Der Arzt schaut ihm einen Moment an, und reicht ihm dann ein Blatt. "Dann schreiben Sie 3 Dinge auf, die Sie in ihrem Leben glücklich machen."

Der Mann nimmt das Blatt, und schaut den Arzt an. "Nur für sich, Sie brauchen mir das Blatt nicht zurückzugeben," sagt der Arzt dann.

Diese Magie, die von unbeschriebenen Blättern ausgeht.