Wednesday, May 16, 2007

Richtung West



Es ist Mai. Und damit, Zeit für E-Bücher. "E wie... ", fing ich den Satz an. Dachte, es wäre einfach. Ist es aber nicht. "Enzensberger," sagt I. "Evans," antworte ich. Dann folgt eine Denkpause. "Eco." Pause. "Ende." Pause. Und: Ende.

Daheim dann, der Blick ins Bücherregal. Und Tatsache: 15 A-Bücher. Aber nur 2 E-Bücher. Umberto Eco, Der Name der Rose. Und: Laura Esquivel, Bittersüße Schokolade. Oder eigentlich: Wie Wasser für Schokolade, wie der Originaltitel heißt. Como agua para chocolate. Ansonsten, E-bbe.

Drei Tage in der Bücherei ein ähnliches Bild: Regale voller A- und B- Bücher. Sogar bei C und D gibt es mehr als bei E. Hätte ich nicht gedacht. Aber dazu sind Experimente ja da: um unerwartete Ergebnisse zu ermöglichen. Immerhin findet sich in der Übersichtlichkeit des E-Regals Enzensberger einfacher. Sieben Bücher von ihm stehen da. Ich sehe rot, und greife zu. Die große Wanderung, heißt das Buch. Und führt direkt von diesem einen Raum in das Große und Ganze. In 33 Markierungen.

Eine Weltkarte. Schwärme von blauen und roten Pfeilen, die sich zu Wirbeln verdichten und gegenläufig wieder zerstreuen. Unterlegt ist dieses Bild mit Kurven, die farbig getönte Zonen verschiedenen Luftdrucks voneinander abgrenzen: Isobaren und Winde. Hübsch sieht eine solche Klimakarte aus; aber wer keine Vorkenntnisse hat, wird sie kaum deuten können. Sie ist abstrakt. Einen dynamischen Prozeß muß sie mit statischen Mitteln abbilden. Nur ein Film könnte zeigen, worum es geht. Der normale Zustand der Erde ist Turbulenz. Das gleiche gilt für die Besiedelung der Erde durch die Menschen.

Den Film gibt es dann ungeplant später. Die Richtung der Wanderung wurde dabei treffenderweise zur Filmkategorie: Western. Spiel mir das Lied vom Tod. Die Szenen so geladen mit Spannung und Musik, dass die Handlung in den Hintergrund rückt.

Und sie reiten immer noch, denke ich einen Tag später, als ich an einem gänzlich anderen Ort gleich wieder auf Colts und Cowboyhüte stoße: In der Villa Merkel. Brave Lonesome Cowboy heißt die Ausstellung. Dort, zwischen einer Wy-o-ming Videoinstallationen und einem Bild vom letzten Mohikaner, finden sich auf einem Begleitblatt Gedanken zum Grundmuster des Genres, diesmal ohne Bild, ohne Pfeile, nur in Worten.

Die narrativen Strukturen und die Motive des Westerns sind ungebrochen faszinierend: in den Filmen wird Neuland zivilisiert oder es werden gesellschaftliche Ordnungen implimentiert sowie Aufbrüche gewagt. Verführerisch ist die fast naive, zumindest plakative Idee des Guten. Dabei tritt das Gute immer von außen zur Regelung dessen auf, was in einer Gemeinschaft aus dem Ruder läuft, und bleibt dabei letztlich immer beziehungslos zu eben dieser Gemeinschaft.

Der Lonesome Cowboy. Der glorreich in den Sonnenuntergang reitet. Richtung West.

Interessanterweise hat auch 'Spiel mir das Lied vom Tod' im Original einen anderen Titel: 'Once Upon a Time in the West'. Genauso wie das Eco-Buch, das ich zusammen mit Enzensberger und diversen anderen E-Büchern auf meine Wanderung durch die Wortwelt mitnahm. 'Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß' heißt es auf deutsch. 'La Bustina di Minerva' auf italienisch. Und enthält eine Gedankenreise in 41 Essays, die - ungeplant parallel zu Enzensberger - mit 'Migration' beginnt. Und dann kurz vor dem heiteren Ende ('Wie man sich heiter auf den Tod vorbereiten kann') ein weiteres kulturelles Grundmuster ausleuchtet: das der Klassiker. Ein Grundmuster, das vielleicht auch meiner alphabetische Buchreise innewohnt.

Die Lektüre der Klassiker ist eine Reise zu den Wurzeln. Oft sucht man die Wurzeln nicht aus Sehnsucht nach etwas, das man gekannt hat, sondern in dem vagen Gefühl, daß man aus einem unbekannten Stamm hervorgegangen sein könnte.
Die andere schöne Überraschung, die uns die Klassiker oft bereiten, ist die Erkenntnis, daß sie moderner waren als wir.


Es warten noch: Eichendorff, Eliot, Esterhazy.

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