Friday, July 25, 2008

Capote / Kaléko



Normalerweise leihe ich keine Hardcover in der Bücherei aus. Und schon gar keine 760-Seiten Hardcover. Aber bei dem konnte ich nicht wiederstehen: Truman Capote. Nagelneu. Lesebändchen noch eingefaltet.

Das Kontrastprogramm dazu: Mascha Kaléko.

Zwei Lebensläufe. Zwei Welten.

Mascha Kaléko wächst in Berlin auf. Und flieht 1938 über Paris nach New York, gerade als sie ihre ersten Erfolge als Autorin hat. Dort versuchen sie und ihr Mann, über die Runden zu kommen, bis der Krieg vorbei ist.

Alles ist anders, als wir es uns in Europa vorgestellt haben - vieles besser, manches böser. Die Wolkenkratzer mitten aus der Nebel-Insel aufragend - unerwartet die hohen Türme funkelnder Lichtfenster..

Nach dem Krieg dauert es Jahre, bis Maléko bereit ist zum Schritt zurück nach Europa, doch sie findet dort keine Heimat mehr. Der Bruch in ihrem Lebenslauf wird auch zu einem Bruch ihrer Karriere. 1959 ziehen sie und ihr Mann schließlich nach Jerusalem. Doch auch hier ist kein Friede, findet sie wenig Resonanz.

Ich schnüre mein Bündel zur Reise
Nach uralter Vorväter Weise.
Sie sprechen von mit nur leise.
Ich bleibe der Fremde im Dorf.

~

Capote ist schon als Kind der Fremde, von seinen Eltern hin- und hergeschoben. Er dreht die Rollen schließlich um - vom Außenseiter zum Paradiesvogel, der im Mittelpunkt steht.

Nach der Veröffentlichung seines ersten Romans ging er auf "Grand Tour":

Sein Wunsch nach neuen Horizonten zog ihn in eine völlig andere Richtung: Europa. Zum ersten Mal seit dem Krieg konnten jetzt gewöhnliche Amerikater den Atlantik überqueren. Sein Ruf eilte ihm voraus.

Doch auch Capote findet seinen Meister im Leben: In Cold Blood. Der Tatsachenroman, der sein Hauptwerk werden soll. Wenn er es nur zusammenbekommt.

Ich stecke alles in hinein, was ich habe, und ich glaube, dass es, wenn ich sehr geduldig bin, eine Art Meisterwerk werden könnte. Manchmal, wenn ich daran denke wie gut es werden könnte, verschlägt es mir fast den Atem. Nun, das Ganze war die interessanteste Erfahrung meines Lebens, ja sie hat tatsächlich mein Leben verändert und auch meine Einstellung zu fast allem -es ist ein großes Werk, und selbst wenn ich scheitere, wird mir etwas gelungen sein.

Die Interviews zu In Cold Blood finden über ein Jahr in Kansas statt. Um die Ruhe zu finden, das Buch zu schreiben, reist Capote immer wieder nach Europa. Zur Fertigstellung braucht er 4 Jahre.

Damit beginnt der 4. Teil des Buches, das so spannend ist wie ein Roman. So spannend und unvorhersehbar wie das Leben selbst.

Sunday, July 06, 2008

unsichtbar



Juli 2008. Sonntag. Ich lese die rororo-Biografie von George Sand. Und reise mit Renate Waggershauser zurück in die Vergangenheit. Zum Dezember 1831. Dem Monat, in dem aus Aurore Dudevant ein Mann wurde. Zumindest äußerlich.

"Ich machte mir also einen Schilderhaus-Überrock von groben grauem Tuche und Hose und Weste von demselben Zeuge. Dazu trug ich einen grauen Hut und eine dicke wollene Halsbinde und sah nun ganz aus wie ein Student im ersten Jahr. Niemand beachtete mich oder ahnte meine Verkleidung."

In Paris schreibt Aurore Dudevant mit ihrem Freund Jules Sandeau einen Roman, der unter dem Pseudonym J. Sand veröffentlicht wird. Wenige Monate später folgt ein zweites Buch, von ihr alleine geschrieben. Sand soll als Autorenname dafür erhalten bleiben, in Kombination mit einem geänderten Vornamen.

"Ich wählte schnell und ohne Bedenken den Namen George." Damit war George Sand geboren, und mit diesem Männernamen nahm Aurore auch die Angewohnheit an, von sich in der maskulinen Form zu sprechen.

Bei dem Namen bleibt sie dann. Und provoziert damit, für sich die gleichen Rechte einzufordern, die einem Mann ohne weiteres zugestanden werden. Verreist mit Chopin nach Mallorca, unverheiratet. Ist später befreundet mit Flaubert, der eine Novelle für sie schreibt: Ein einfaches Herz.

..die ergreifendste der sogenannten 3 Erzählungen Flauberts. Wie von Madame Bovary, so könnte man auch von der Dienstmagd Félicité, der Hauptfigur dieser Erzählung, sagen, sie sei Flaubert selber.

~

Zeitsprung. Zurück ins Jetzt. 2006, Brooklyn. Das Buch von Siri Hustvedt, es stand nicht einsortiert zwischen den anderen Büchern im Regal, sondern neben ihnen, Cover nach vorne. Passt, denke ich. Und stolpere dann über den Titel: Being a Man. Der Inhalt selbst ist leider nicht auf englisch. Und um das Verwirrspiel zu vertiefen, heißt das Original ohnehin "A Plea for Eros."

Das Buch, es ist kein Roman, sondern eine Sammlung ihrer Essays, bei denen es auch um ihr Buch "Was ich liebte" geht - das sie als Frau aus der Perspektive eines siebzigjährigen Mannes geschrieben hat.

Leo zu sein war kein Akt der Übersetzung. Nach einer Weile hörte ich ihn. Ich hörte einen Mann. Es ist wohl unerklärlich, woher er kam, aber ich bin davon überzeugt, dass ich ihn aus der Erfahrung bezog, den Männern zuzuhören, die ich geliebt habe und liebe, besonder meinen Vater und meinen Mann, aber auch andere, die entscheidend für meine intellektuelle Entwicklung waren - jene körperlosen männlichen Stimen in den zahllosen Bücher, die ich im Lauf der Jahre gelesen habe. Ihre Worte sind in mir, aber genauso die Worte der Schriftstellerinnen: Jane Austen, Emily und Charlotte Bronte, George Eliot, Emily Dickinson, Gertrude Stein, Djuna Barnes. - Lesen heißt, den Schreiber nicht zu sehen. Marian Evans wurde George Eliot, um ihr Geschlecht zu verstecken, und es funktionierte eine Weile. Flauberts Erklärung "Madame Bovary, c'est moi" ist so ernst gemeint wie alles, was er gesagt hat.

Lesen heißt, den Schreiber nicht zu sehen. So simpel, dieser Gedanke. Und gleichzeitig so spannend. Woher kommen die Stimmen, die wir hören, wenn wir lesen? Wie würde sich die Stimme ändern, wenn der Vorname des Autors nicht auf dem Titel stehen würde?

Und, aus aktuellem Anlass: wie ist das Verhältnis von Autoren und Autorinnen, rein zahlenmäßig? Eine Internetsuche führt zur Zahl 3:1, allerdings bezieht sich die Zahl auf US-Magazine (link). Auf der Seite des Nobelpreises für Literatur gibt es den Button "nur weibliche Preisträger anzeigen" - die Liste reduziert sich dann von 106 auf 11, was einem - sicherlich nicht repräsentativen - Verhältnis von 9:1 entspricht. (link).

Die erste Frau, die den Litaturnobelpreis verliehen bekam, war Selma Lagerlöf, "auf Grund des edlen Idealismus, des Phantasiereichtums und der seelenvollen Darstellung, die ihre Dichtung prägen". George Sand hat diesen Tag nicht mehr erlebt - er fand 1909 statt, 33 Jahre nach ihrem Tod.