Tuesday, August 26, 2008

Apokalyptischer Dienstag



Es ist ein luftiger, sonniger Dienstag. Die erste der Sonnenblumen fängt an, sich zu öffnen. Und ich lese apokalyptische Bücher. Beim ersten konnte ich einfach nicht widerstehen. "Schreckensbilder in der deutschen Literatur seit Jean Paul," versprach es.

Die interessanteste Passage bisher stammt von Hans Magnus Enzensberger, aus seinem Essay "2 Randbemerkungen zum Weltuntergang."

Die Vorstellung vom Millennium, vom Sonnenstaat, war kein platter Traum vom Schlaraffenland, sie hat auch immer Momente von Angst, Panik, Terror und Zerstörung mit sich getragen; und umgekehrt bringt die apokalyptische Phantasie nicht nur Bilder der Dekadenz und Verzweiflung hervor; sie enthält auch, unauflöslich mit dem Schrecken verschlungen, das Verlangen nach Rache, nach Gerechtigkeit, Regungen der Erleichterung und der Hoffnung.


Das andere Buch knüpft an ein Gespräch mit einer Freundin über die Welt an. Paul Auster, “In the Country of Last Things”. Keine leichte Kost, die Welt, die Auster dort entwirft: ein Ort, and dem Wissen und Sicherheit verloren gehen, zusammen mit materiellen Dingen, die einfach verschwinden. Doch auch dort gibt es Zufluchtsorte: eine alte Bücherei. Und ein Haus, an dessen Türe die verzweifelten klopfen können. Um dann Essen und Kleidung zu erhalten. Und manchmal sogar ein Platz zum Schlafen. Doch auch dieser Ort des Guten steckt voller Fragen.

“The moment you accept the idea that there might be some good in a place like Woburn House, you sink into a swamp of contradictions. It is not enough to argue that residents should be allowed to stay longer – particularly if you mean to be fair. What about all the others who are standing outside, waiting for their chance to get in? For every person who occupied a bed in Woburn House, there were dozens more begging to be admitted. What is better – to help large numbers of people a little bit or a small number of people a lot?”

Die Antwort darauf gibt Auster in der nächsten Zeile.

“I don’t really think there is an answer to that question.”

Das Gegenstück zu dieser Antwort: eine Hand voll Reis. "Wenn ich mir vorstelle, ich hätte eine Milliarde zur Verfügung," schrieb meine Freunding. "Was könnte ich damit anfangen, realistisch gesehen? Es wäre nicht genug, um die Welt zu verändern. Man könnte davon, wieviel, vielleicht eine Hand voll Reis für jeden kaufen?"

Saturday, August 09, 2008

Alles



"Quick Read" versprach das Buch von Joanna Trollope. The Book Boy, 94 Seiten in großzügiger Schrift. Ein Buch, dass sich leicht an einem Nachmittag lesen lässt. Wenn man lesen kann.

Wie wäre es, nicht lesen zu können? Wie Alice, die Hauptfigur in Book Boy.

"I can't - " Alice stopped again, and took a deep breath. "I can't - read very well."
Mrs Chandra looked amazed. "What has that got to do with anything?"
"Everything," Alice said. "Everything. It makes me - different."


Alles. Kein ABC. Passend auch, das ich diese Woche zu A zurückgekehrt bin. Weil es davon ein Regal voll neuer Bücher gab. Eines davon, Mitch Albom. For One More Day. Die schönsten Passagen des Buches sind Briefe, die eine Mutter ihrem Sohn einsteckt. So dass ihre Worte bei ihm sind, wenn er ohne sie ist, in einer neuen Umgebung. Wie am ersten Schultag.

I waved good-bye with the letter. It didn't occur to her, I guess, that I was just starting school and didn't know how to read. That was my mother. It was the thought that counted.

Dann noch - S. Ein Büchereibuch über eine Bücherei. Ian Sansom. The mobile library. Mit einem Nachwort, das eigentlich das Buch sein sollte.

I write because I read, and I read because I write, the two being pretty much inseparable in my mind. I don't know which came first, the reading or the writing, but I do know that I started reading because of libraries. .. The great truth and beauty of a public library is that you don't own the books: they, briefly, own you.

Lesen und Schreiben. Und Büchereien. Schön auch, in der Bücherei dann ein Buch wiederzutreffen, dem man schon einmal, für kurze Zeit, gehört hat.

Tuesday, August 05, 2008

Zen Mal Zwei



August. Zeit für die Stadtbücherei. Und zwischen den Regalen, Zeit für S. Yep. Ich lese immer noch nach dem Alphabet. Und finde so zurück zu Susan Sontag. Nicht im Original, leider. Vielleicht fällt mir das Buch auch daher schwer. Schon im Titel ist auf deutsch etwas verloren gegangen: von Death Kit zu Todesstation.

Dafür bleibe ich an den Zeilen der dritten Seite hängen.

Diddy, nicht wirklich lebendig, hatte ein Leben. Was kaum dasselbe ist. Manche Menschen sind ihr Leben. Andere, wie Diddy, bewohnen es bloß. ... Menschen, die bloß ein-Leben-haben, sind gewöhnt, sich in einer dicken Flüssigkeit zu bewegen. Nur das ermöglicht ihnen ihr Leben zu führen. Ihr Leben hängt davon ab, daß sie nicht sehen.

Zen, denke ich. Und fange nach asiatischer Tradition an, von hinten zu lesen. Auf Seite 373, bei dem Nachwort, das auch eine Erklärung ist: im Zentrum des Buches steht ein Traum. Und das Buch selbst, es ist eine Raum-Konstruktion. Eine Darstellung der Unwirklichkeit und Brüchigkeit unserer Realität.

Schnitt. Sprung. Seitenwechsel.

Von Sontag zu Stein. Die, wie Sontag, verwegene Wege geht.

"Komplikationen sind immer einfach, aber eine andere Sichtweise als die der ganzen Welt ist ganz selten. Die Sachen auf eine neue Art sehen, das ist schwierig, alles hält einen zurück, Gewohnheiten, Schulten, das tägliche Leben."

Sehen, denke ich. So wie Diddys Leben davon abhängt, nicht zu sehen - hing das Leben von Stein daran, zu sehen. So ist es auch keine Überraschung, dass es in Paris sie und ihr Bruder Leo waren, die neu sahen. Und dafür einen Raum schufen, in der Rue de Fleurus. Schwer, sich vorzustellen, dass damals all die heute großen Namen noch kleiner waren. Dass die Leute über die Impressionisten lachten, über Maler wie Cézanne, Matisse oder Picasso.

Und später dann, nach dem ersten Weltkrieg, wird der Salon Treffpunkt der neuen Literatur. Ezra Pound. T.S. Eliot. Ernest Hemingway. James Joyce. Djuna Barnes.

Und Stein schreibt. Und schreibt. Und findet keinen Verleger. Wahrscheinlich, weil sie zu weit war, für ihre Zeit.

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Kleine Anekdote am Rand - hier, in der Biografie, finde ich zufällig die Geschichte der Rose. Sie stammt aus einem Kinderbuch, das Stein schreibt: eine Geschichte über ein Mädchen namens Rose, die im Wald ihren Namen an einen Baum schreibt.

sie würde rundherum immer rundherum aber nicht krumm Rose ist eine Rose ist eine Rose ist eine Rose in die Rinde ritzen bis es ganz rundherum reichte.

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