Tuesday, June 19, 2007

Was das mit uns zu tun haben könnte



Manchmal passen Bücher. Manchmal passen sie nicht. Bei Kleidern ist es etwas einfacher, man kann reinschlüpfen. So schnell lässt sich das mit Büchern nicht klären. Daher nehme ich immer gleich einen Stapel aus der Bücherei mit. In der Annahme, oder eher, der Hoffnung, dass auch einige Titel dabei sein werden, die passen, zum Monat, zur Stimmung, zur mir, jetzt.

Ludwig Fels und Fruttero & Lucentini passen nicht. Auch nicht Fassbinder mit seinem Stück über den Müll, die Stadt und den Tod. Obwohl darin der Kleine Prinz einen Überraschungsauftritt hat, und die erste Szene mit redsamer Abendstille beginnt.

Auf dem Mond, weil er so unbewohnbar ist wie die Erde, speziell die Städte.
Frl. Tau/Miss Violet: Abendstille überall / nur am Bach die Nachtigall / singt ihre zarte Weiss / wohl klagend durch das Tal
Frl. Emma: Sie hätten verzichten sollen.
Asbach-Lilly: Wegen dieser bürgerlichen Drecksau? Ich bitte Sie. Die steckt ihn in ihre Fotze und weg ist er - sprachlos und ohne Glanz in den Augen.

Roma: Was nützt ihm in seiner Zelle der Glanz in den Augen. Und Sprache? Was ist das?

Dann vielleicht Franz Fühmann und Prometheus? Das Buch fängt immerhin mit Ziegenkindern an, die auch große Fragen stellen, ebenfalls mit einem Haken.

"Mämmi," fragten die Ziegenkinder, "Mämmi, was macht denn der Prometheus da oben? Es wird ja immer dunkler in unserem Tal?" Sie fragten natürlich in Ziegensprache.

Statt zum nächsten F-Buch greife ich zur Zeit. Und bleibe bei einem mehrseitigen Artikel hängen, in dem es um die Dokumenta geht, zudem um uns, die Kunst und die Welt.

Wenn diese Dokumenta also Panzer zeigt, geschundene Körper, die Dunkelheit des Krieges, dann nicht, um den Besucher einen kurzen, kräftigen Schauer zu verpassen. Anders als die Biennale in Venedig verdoppelt sie nicht einfach das, was ohnehin als grausam und übel gilt, sondern will wissen, was das mit uns zu tun haben könnte, mit der Art und Weise, wie wir die Welt ausdeuten, welche Rolle wir uns selbst darin zuschreiben.

Politisch ist diese Dokumenta mehrfach: Sie fragt, was von den alten Utopien noch trägt. Sie fragt, welchen Mustern wir trauen, welchen Formen wir Geltung einräumen. Sie fragt, wie sich unser Blick auf die Welt weiten lässt und ob sich damit unser Bild von der Welt verändern könnte.

Die Art und Weise, wie wir die Welt ausdeuten. Das hatte ich doch vor kurzem an anderer Stelle, in anderen Worten gelesen, denke ich. Und begebe mich auf die Suche. Die bei De endet. De wie Alfred Döblin, der eigentlich im April dran gewesen wäre. Und daneben, De wie Joan Didion, die eine Reihe über Döblin stand. Und die ich auch fast verpasst hätte. Obwohl ich ihr erst letzten September begegnet bin, in einigen Dingen, die bleiben. Obwohl sie es so wunderbar auf den Punkt bringt.

Wir erzählen uns Geschichten, um zu leben.
Wir deuten, was wir sehen, wählen aus den vielfältigen Möglichkeiten die brauchbarste aus.
Wir leben voll und ganz, besonders wenn wir Schrifsteller sind, indem wir nicht zu vereinbarende Bilder nach einer bestimmten Erzählweise einrichten und nach den 'Vorstellungen', mit denen wir die wechselnde Phantasmorgie unserer tatsächlichen Erfahrungen einzufrieren gelernt haben.


Komisch auch, denke ich, dass sich die besten De-Bücher mit Verspätung, aber dafür passend zur Dokumenta finden. Parallel zu dem Gedanken keimt eine Spur Hoffnung auf: Vielleicht wird es mir mit den F-Büchern auch so gehen.

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Thursday, June 07, 2007

Einbruch in die Freiheit



Die neue Zeit ist da. Jetzt mit farbigem Leben, in DinA4. Und mit ausklappbarem Blick. Auf Orte, die so noch nie zu sehen waren.

Dazu, im Literaturteil, sechs Seiten Lyrik, sonst nichts. Alles Lyrik, bestätigt die rechte Spalte dann auch noch einmal. Weil die Dichtung alle überfordert, ergänzt dazu Iris Radisch im Intro-Artikel, lässt sich davon aber nicht beirren, und macht sich stattdessen auf die Suche nach dem Geheimnis, das den Zauber von gebrochenen Zeilen auf Papier begründet:

Ein Gedicht, so spürt man, ist nie nur die Summe seiner Teile, sondern immer ein Organismus, der stirbt, wernn man ihn zerschneidet. Deswegen ist auch wahr, was oft behauptet wurde: Gedichte versteht man nur, während man sie liest. Nicht davor und nicht danach. Gedichte sind keine Gegenstände, eher Zustände. Deswegen können wir sie auch schlecht zu uns herüberziehen, in die Prosa unserer Verhältnisse. Wir müssen uns schon aufmachen, zu ihnen zu kommen. Nur so erfahren wir endlich einmal etwas vollkommen Neues.

Ich blättere zur nächsten Seite, gespannt auf dieses vollkommen Neue. Und treffe - Mascha Kaléko. Die Teil vom letzten Literaturcafe war, mit ihren Liebeszeilen, die jemand zum Thema Tod mitgebracht hatte - Das berühmte Gefühl.

Doch als ich starb zum dritten Mal,
Da schmerzte es nicht sehr.
So altvertraut wie Bett und Brot
Und Kleid und Schuh war mir der Tod.
Nun sterbe ich nicht mehr.


Mehr über Dinge, die neu sind, und Dinge, die niemals neu sind: eine Woche später, an der fast gleichen Stelle, eine Zeit weiter. Jiddu Krishnamurti, Einbruch in die Freiheit.

Das Denken ist niemals neu. Wenn wie einen Gedanken in uns erkennen, ist er bereits alt. So ist das, wovor wir uns fürchten, die Wiederholung des Alten, des Vergangenen, der Gedanke an das, was gewesen ist, projiziert in die Zukunft.
Wir fürchten uns vor dem Tod, das heißt vor etwas, das sich morgen oder übermorgen, im Laufe der Zeit ereignen wird. Es besteht ein Abstand zwischen der Wirklichkeit und dem, was sein wird. Es ist der Gedanke, der die Furcht vor dem Tod erzeugt. Und wenn er das nicht tut, gibt es dann überhaupt Furcht?

Ich blättere weiter, blättere zurück zum ausklappbaren Blick. Um den zu erhalten, hat der Fotograf seine Kamera an einem sechs Meter langen Arm befestigt. Und das Motiv dann aus Einzelaufnahmen zusammengesetzt. So gelangte er zu der neuen Perspektive.

Sechs Meter. Entspricht das nicht ungefähr auch dem Abstand zwischen der Wirklichkeit, und dem, was sein wird, wenn man die Lyrik nicht mitrechnet?

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