Wednesday, July 25, 2007

das Nichts unserer Tage



Es sind Stolperwochen. Ruhelose Tage. Ich öffne die Zeitung, lasse die großen Seiten dann wieder zusammenfallen, falte sie weg. Mache das Fenster auf, mache es wieder zu. Und bleibe dann am glücken hängen, ausgerechnet. Es kommt mit Handke verführerisch handlich daher. Ich springe hinein. Und lande im Nichts.

Die Erfahrung: daß gerade ein Nichts an Tag (wo nicht einmal die wechselnden Lichter mitspielen, kein Wind, kein Wetter) die äußerste Fülle verhieß. Nichts war, und wieder war nichts, und wieder war nichts. Und was tat dieses Nichts und wieder Nichts? Es bedeutete. Es war mehr möglich mit nichts als dem Tag, weit, weit mehr, mir wie dir. Und darum ging es hier: das Nichts unserer Tage, das galt es jetzt 'fruchten' zu lassen, von Morgen bis Abend.

Das Glück und das Nichts. War das nicht auch, genau in dieser Kombination, in der Zeit aufgeblitzt? Nur, wo nun wieder? Müde gekämpft, lese ich. Gegenwartshunger. Und: Von Hasen und vom Igel. Dann finde ich ihn wieder: den Mönch, der über das Glück schrieb, hinter China, passenderweise.

Die meisten Menschen, sagt Ricard, verwendeten unendlich viel Energie darauf, dem Glück nachzujagen, indem sie Karriere machten, schöne Sachen kauften, ihre Freizeit optimierten. Doch sie unternähmen so gut wie nichts, um sich innerlich zu verändern, um ihr Wohlbefinden unabhängig von all den äußeren Einflüssen, die sich nicht steuern lassen, zu vergrößern. Warum aber tun sie nichts?
Nach Ricards Überzeugung glauben die Menschen im Westen, dass Unglück zum Leben gehöre und seine Auslöser nicht zu identifizieren, schon gar nicht zu verändern seien. Genau das sei falsch: Jeder habe die Möglichkeit zu 'inneren Transformation'.
"Es sind unsere Entscheidungen, Harry, weit mehr als unsere angeborenen Fähigkeiten, die zeigen, wer wir wirklich sind."

Der letzte Satz, er stammt nicht von Ricard. Sondern aus Rowlings neuem Harry Potter-Band, den zwar nicht ich, doch dafür die Welt gerade liest, auch die Zeit. Die liefert dann auch die Antwort auf das Rätsel, warum Harry Potter so bewegt. Eine Antwort, die den Kreis über den Osten zum Westen noch einmal schließt.

Es ist der Glaube daran, dass wir uns, bei allen Fehlern, die wir schon gemacht haben, entscheiden können und entscheiden müssen, der die westliche Weltsicht ausmacht und die unfassbare Strahlkraft - eines Kinderbuches.

Und nun, fragt die Gegenwart mich.
Und nun, Nichts, antworte ich.

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Tuesday, July 10, 2007

the pickup



today, a friend wrote to me, telling me about the film “The Bridge”. and about Truman Capote. just at the day i read an article about novels and novellas in the Zeit.

the article also made me think of the last book i was reading: Nadine Gordimer's “Occasion to Love” – in the german translation. which of course, is a step from the original. as Gordimer writes in English. which i am obviously able to read.

that's what i thought about when i stood in front of my book shelf, looking at the other library books i brought, and feeling like Hustvedt hat put it in her conjunctions-essay:

"maybe i need to read something. or read something else."

so i went to town, to go to the library - and they had one Capote in the english section: “Summer Crossing”. that's the very book the Zeit article referred to. i picked it. and then went to “G”. to find they have one of Nadine Gordimer's books in english: “The Pickup”.

i read the first 5 pages of it already. she is way better in original than in the german translation. the first sentence of the first chapter is a killer, just like the last:

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Clustered predators round a kill. It's a small car with a young woman inside it. The battery has failed and taxis, cars, minibuses and vans challenge one another, reproach and curse her, a traffic mob mounting its own confusion. Get going. Stupid bloody woman. Idikazana lomlungu, le! She throws up hands, palms open, in surrender.

There. You've seen. I've seen. The gesture. A woman in a traffic jam among those that are everyday in the city, any city. You won't remember it, you won't know who she is.

But I know because from the sight of her I'll find out – as a story – what was going to happen as the consequence of that commonplace embarrassment on the streets; where it was heading her for, and what. Her hands thrown up, open.

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ah. to be able to write like that.

Monday, July 09, 2007

versuche zu verstehen



Sonntag, diesmal mit Regen der eigentlich für den Abend angekündigt war, aber schon mittags aufkam, und die Welt in Wasser taucht.

Lesewetter, beschließe ich als ich wieder trocken bin, und ziehe mich auf meinen Katzenplatz zurück. Während draußen die Tropfen fallen, tauche ich in die Welt der Global Frequency ein. "Politisch provokantes explosives Storytelling," stellt Entertainment Weekly dazu fest. Na dann, denke ich. Und versuche zu verstehen.

"Bitte verstehen Sie das nicht falsch. Ich würde eine andere Lösung vorziehen," sagt Miranda Zero dort. "Aber es gibt niemand anderen für diesen Job. Selbst die G8-Staaten zahlen uns Schweigegeld. Für all das Grauen, das wir aufspüren. Schliesslich müssen wir uns vor den Dingen retten, die uns heimsuchen. Und manchmal darf man dabei nicht zimperlich sein."

Das Schöne an Global Frequency: die Guten sehen alle gut aus. Und auch das Böse ist hübsch klar als solches zu erkennen: die Heimsuchung ist dunkel und grauslig. Und kommt von einem Ort, der mit der Welt der normalen Menschen nichts zu tun hat.

Das Gegenstück dazu: Nadine Gordimer. Sie erzählt von der ganz normalen Welt, von der Ambivalenz von Gut und Böse. Von den Mechanismen, welche die Welt an manchen Orten zu der macht, die sie ist. In diesem Fall, in Anlaß zu lieben, von den psychischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer Ordnung, die darauf besteht, Recht und Gesetz je nach der Hautfarbe zu relativieren.

Die Stimmung des Abends, der hinter ihnen lag, war eine, die darauf verwies, daß Männer und Frauen weder gut noch schlecht, weder glücklich noch unglücklich sind, sondern in dem Versuch zu leben hier genossen und dort litten; unbesonnen, gelegentlich voller Glück, oft komisch. Mensch zu sein bedeutete, bei alledem miteinander Nachsicht zu haben.

454 Seiten lang ist der Anlaß zu lieben. Ich lese ihn in 4 Tagen. Und kehre mehrmals zu den sieben Zeilen von Jessie zurück, der weißen Frau, die zusammen mit ihrem Mann Tom einen Freund bei sich aufnehmen, und auch dessen Freundin Ann, welche sich dann in Boaz, einen Bekannten von Jessie und Tom verliebt. Eine fast übliche Liebesgeschichte, nur dass Boaz schwarz ist. Und dadurch für alles andere Regeln gelten. Die sieben Zeilen, sie stammen aus einem Brief, den Jessie schreibt, und den sie dann zu einem Ball zerknüllt, der auf dem Rasen liegen bleibt.

"...Erinnerst du dich an diese Seidenraupen, deren Kiefer nie stillstanden und die man, wenn man sich im Zimmer absolut ruhig verhielt, tatsächlich hören konnte, wie sie loslegten? - So hungrig gewesen zu sein, und nicht gewußt zu haben, warum. Aber dann waren sie satt, und plötzlich wussten sie, wie Seide gesponnen wird."

Vor Jahren hatte ich dieses - oder ein anderes - Buch von Nadine Gordimer schon einmal in der Hand. Neugierg auf den Inhalt, insbesondere weil "Nobelpreis für Literatur 1991" auf dem Cover des Buches stand. Damals war ich enttäuscht. Die Erinnerung daran reichte bis zu dem Besuch in der Bücherei. Dort nahm ich das Buch, legte es wieder zurück, nahm es dann doch. Zum Glück.

Es hat nur einen Nachteil: seit ich Gordimer gelesen habe, wirken die nächste Bücher nicht mehr wirklich anziehend. Und zu männlich. Günter Grass. Graham Greene. Maxim Gorki.

Daher erst einmal die Zeit. In der Georg Diez über die unerreichten Vorbilder für junge, ungezähmte Literatur schreibt, und sich dabei auf Maeve Brennan und Truman Capote bezieht. Und sich dabei interessante Gedanken darüber macht, warum Kurzgeschichten besser als Romane zum Leben passen.

So ist das Leben, es passiert, und wer versucht, es zu halten, hat schon verloren. Ein "buddhistisches Nickerchen" nannte der kürzlich verstorbene Kurt Vonnegut die Erzählung, es geht so dahin, dann ist es vorbei, ist da etwas gewesen, ein Leben, ein Schicksal? Tätiges Nichts-tun also, Gedanken in Bewegung, die sich an den offenen Enden verhaken, diese offenen Enden, die ein Geschenk für den Leser sind, weil sie ihm Raum lassen und Luft.

Tätiges Nichtstun. Das passt wiederum zu dem Spruch auf einem Plakat, das seit ein paar Wochen in der Bücherei hängt: "Faul sein ein Buch lesen ist nicht." Steht da.

Was lese ich jetzt als nächstes?

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Friday, July 06, 2007

Fragen des Tages




Bin ich diejenige, die den Garten zähmt -
oder ist der Garten derjenige, der mich zähmt?

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Und die andere Frage:

Sehen die kleineren Blüten von Sonnenblumen,
diejenigen, die sich zwischen den Blättern entwickeln,
immer so aus?

Und wenn ja,
wie kommt es, dass ich ihr Aussehen
noch nie bemerkt haben?

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Und dann noch zwei Zen-Frage aus der Zeit:

Wann beginnt die Gegenwart?

&

Wie wollen wir leben?

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Monday, July 02, 2007

Ausläufer einer fiktiven Existenz



Sonntag mit Sonne. Gras unter den Füßen, Schmetterlinge auf lila Blüten, Bücher auf dem Terrassentisch. Und: Ameisen im Rasen. Wo kommt ihr denn nun wieder her, frage ich. Statt einer Antwort treffe ich auf einen Termitenhügel, direkt auf der dritten Seite von dem Buch, das ich fast verpasst hätte: F wie Paula Fox. In der Bücherei einsortiert nicht unter F, sondern unter dem Sonderregal namens 'Moderne Unterhaltung'. Und dafür zeitlos gut.

In jener Zeit begriff ich, was Münzen und Scheine sind, aber nicht, was Geld ist. Fünf Dollar waren reell. Ich konnte sie so lange strecken, daß sie reichten. Allein der Gedanke an fünfzig Dollar versetzte mich in Verwirrung. Wieviel waren 50 Dollar?
Die Schauspielerin ZaSu Pitts verkörperte auf einem Reklamefoto - es machte Werbung für den Film Greed, gedreht im Jahr meiner Geburt, und zeigte sie in kauernder Haltung halbnackt zwischen Haufen von Goldmünzen, mit einem Ausdruck wahnsinniger Habgier auf dem Gesicht - meine Ansicht des amerikanischen Kapitalismus, als ich ein junges Mädchen war. Mit dem Älterwerden änderte sich meine Haltung gegenüber Geld. Ich begann zu verstehen, wie kompliziert es ist, wie einige Menschen es um seiner selbst willen anhäufen, getrieben von Kräften, die mir so geheimnisvoll vorkamen wie jene, die Termiten dazu bringen, in bestimmten Teilen der Welt Hügel von bis zu zwölf Metern Höhe zu bauen.
Zu derselben Zeit, in der ich begann, materielle Dinge zu erwerben, wurde mein Verlangen nach ihnen wach. Doch in mir blieb das Bild von ZaSu Pitts, die die Hände voller Goldmünzen ausstreckt, nicht als Angebot für andere, sondern um sich an ihrem Besitz zu weiden, ein Bild, ebenso verdammungswürdig wie triumphal.


Paula Fox. Sie wurde 1923 in New York geboren. Das Buch in meiner Hand, es ist zugleich Roman und Kindheitserinnerung: In fremden Kleidern: Geschichte einer Jugend, steht dort auf der deutschen Ausgabe, nur die Innenseite verrät den Originaltitel, im Kleingedruckten: Borrowed Finery: A memoir.

Die erinnerte Geschichte fängt bei Fox in Balmville an. Es folgen, kapitelweise, Hollywood, Long Island, Kuba. Dann New York, Florida, New Hampshire, New York, Montreal, New York. Und schließlich: Kalifornien.

Und darauf: das Lachen der Ameisen. Die Liste der Orte, eifrig zusammengeblättert, findet sich zu meiner Überraschung auch auf der letzten Seite des Buches. Inklusive Seitenzahlen.
Um wieviel einfacher wäre es, wenn man diese Liste im Leben vorher hätte, denke ich. Und lande bei dem anderen fast verpassten F-Autor. Max Frisch. Und seinem Gedanken-Theaterspiel, genannt: Biografie: Ein Spiel.

Was passiert? Kürmann, der erfolgreiche Wissenschaftler, darf sein Leben wiederholen, er darf es sogar verändern: wo immer er will, kann er eingreifen, Weichen anders stellen. Ein Wunsch, den jeder kennt: mit den Erfahrungen, die das Leben gebracht hat, dieses Leben noch einmal zu bestehen. Würde man Fehler vermeiden?
Frisch lässt das durchspielen. Zunächst will Kürmann beim Naheliegenden ansetzen: bei seiner gescheiterten zweiten Ehe. Dann sieht er, dass er weiter vorne neu beginnen muss. Doch immer, wenn ihm die Entscheidungssituation auf der Bühne noch einmal eingeblendet wird, ist er wieder in den alten Fesseln gefangen. Frischs Fazit: das Gedankenspiel, nach einem Probelauf wäre man reif für das richtige Leben, beruht auf einer Illusion.


Frisch selbst ist zwölf Jahre vor Fox geboren: 1911 in Zürich. Er war Architekt und Autor, Ehemann und Weltenbummler. All das, überschneidend in verschiedenen Kapiteln seines Lebens. Seine Biografie beginnt 1981, mit einer Begegnung und einem Zitat, das den Details einer Biografie eine interessante fiktionale Frage stellt:

Ein großer Teil dessen, was wir erleben, spielt sich in unserer Fiktion ab, das heißt, daß das wenige, was faktisch wird, nennen wir's Biografie, die immer etwas Zufälliges bleibt, zwar nicht irrelevant ist, aber höchst fragmentarisch, verständlich nur als Ausläufer einer fiktiven Existenz.

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