Sunday, January 29, 2006

Eins und Alles



Literaturcafe in Köngen. Das Thema, "Heiteres / Spott / Satire". Das Thema, überraschenderweise kein leichtes. Parallel dazu, in einer ganz anderen Wort-Tausch-Stelle, die Frage: "Bist du grundsätzlich eher traurig oder fröhlich?"

Die Richtung einer Antwort, auf einer Fussballkarte aus dem Literaturhaus Stuttgart - dort mitgenommen am Tanger Telegram Abend, Juli 2005 war das. Seitdem passte die Karte nirgends wirklich hin. Bis sie mir dann im Januar beim Jahr-Aufräumen wieder in die Hand fiel. Und ihren Platz gefunden hatte.

"Der Ball ist rund
Meiner hat eine Delle

Von Jugend an drücke
und drücke ich; aber
er will nur einerseits rund sein."
- Günter Grass

Die nächste unerwartete Paralle dann ein paar Tage später - die Lösung der ungestellten Frage, warum die Gruppe 47 den Namen "Gruppe 47" trägt. Und was es mit dieser Gruppe eigentlich auf sich hatte. Stand schon immer alles in einem Buch, das schon seit ewig in der Bücherei stand. Seltsam, wie lange wir manchmal brauchen, um die Zusammenhänge zu sehen. Oder noch mehr: um überhaupt danach zu fragen.

Gruppe 47, gegründet 1947. Ein paar Jahre später bei einer Lesung der Gruppe teilgenommen: Günter Grass. Auch dabei: Martin Walser und Marcel Reich-Ranicki. Das Streitbuch Walsers von 2002, "Tod eines Kritikers", es wurzelt tief in der Vergangenheit. 47. Ohne Hintergründe machen alle Vordergründe keinen Sinn. Laufen wir bodenlos durch schmerzende Leere.

"Erde - Festigkeit, Halt
Feuer - Energie
Wasser - Gefühle
Luft - Kopfschmerzen"
- if

Die Karte, die ich für if mitnahm, die ich für die anderen am Literaturcafe las, jetzt hat sie eine doppelte Bedeutung. Dazu passend, die Geschichte von Brecht: "Laotse auf dem Weg in die Emigration." Der Wissende, der sein Wissen mit sich trägt, der still die Betrachtung übt. Bis er einen Grenzwächter trifft, der die Zeit und die Neugier hat, nachzufragen. Und den Wissenden so dazu bringt, seine Worte, seine Erkenntnisse auf Papier zu sammeln.

Mehr Papier, mehr Erkenntnisse, in einer alten Gedichtsammlung die den Namen "Eins und Alles" trägt, und mich an ein Kunstbuch denken lässt. "When one thing matters, everything matters." Wann und wo war nun das gewesen? Und - sollte ich jetzt versuchen, mich daran zu erinnern, oder nicht besser das Erinnern einstellen, um mich auf das Gedicht zu konzentrieren, auf die Geschichte Vom Bäumlein, das andere Blätter hat gewollt.

"Es ist ein Bäumlein gestanden im Wald,
in gutem und schlechtem Wetter;
das hat von unten bis oben nur Nadeln gehabt statt Blätter;
die Nadeln, die haben gestochen,
das Bäumlein, das hat gesprochen:
dürft' ich wünschen, wie ich wollt',
wünscht' ich mir Blätter von lauter Gold..."

- Friedrich Rückert

Damals und Heute. Gold und Selbst. Heiteres und Spott. Doch den Spott, wo ordnen wir den nun ein? In ein Koboldgedicht, antwortete B. In ein Gedicht über diese feine gemeine Stimme in unserem Innern, die sich immer wieder über uns und unsere Unbesinnlichkeiten lustig macht. Diese Stimme, die sich erklären könnte, wenn wir sie nur fragen würden. Die uns den Rat geben würde:

"Nimm das Leben
Nicht so ernst."

Oder war das Laotse, der das gesagt hat? Und ist das nicht zu einfach, dem Ernst des Lebens durch Humor den Rücken kehren, und alles Schmerzhafte und Bedrohliche ins Banale zu ziehen?

Obwohl ich nichts gesagt habe, schüttelt die Dame neben mir den Kopf, und zückt die lyrische Hausapotheke. Dort schreibt Goethe über die Poesie, die den Menschen Kleider anzieht. Direkt danach sinnt W. mit Elke Heidenreich über die kleinen großen Dramen des Lebens:

"Wie zerbrechen nicht am Schicksal,
wir zerbröseln langsam am Alltag."

Einsichten über das normale All, das uns umfängt. Und der Humor, auf seine Art ein Weg, um dieses All zu lösen, um uns aus den Bröseln zu schälen und auf einer anderen Ebene einen Zugang zum oder Ausgang aus dem Thema zu finden. Vom Ein zum Alles, in einem Lachen, sozusagen. Doch ohne Tusch.

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Saturday, January 07, 2006

grüne Notizen, blaue Grenzen



2006. Ein Jahr, das winterweiß anfängt. Und im Koki grün vom Dezember in den Januar gleitet. Mit einer großen Reise. Von Ismael Ferroukhi. Von Frankreich über Italien nach Slowakei, Kroatien. Dort, in Leinwandgröße, das Straßenschild nach Ljubljanja. War ich auch schon mal, vor 2 Ewigkeiten, in einem Sommer vor dem Krieg, denke ich. In meiner Erinnerung tauchen kurz die Plitwitzer Seen auf, und der alte schwarze Fiesta von damals.

Dann fahren Vater und Sohn im Peugeot auf der Leinwand weiter nach Serbien und Bulgarien. Bleiben dort erst im Schnee, dann an der Grenze hängen. Und kommen doch durch die Türkei und Jordanien nach Saudi-Arabien. Nach Mekka. Erst kurz vor dem Ziel dann, die Frage des Sohns: "Warum müssen wir eigentlich nach Mekka fahren? Warum fliegst du nicht, wie die anderen?" - Die Antwort des Vaters:

"Es ist besser, seine Reise zu Fuß als mit dem Pferd zu machen,
besser mit dem Pferd als mit dem Auto,
besser mit dem Auto als dem Schiff
und besser mit dem Schiff als mit dem Flugzeug."

Später, nach dem Ende des Films, dann die unbewusste Ergänzung des Satzes. Es ist besser, solche Filme im Kino anzuschauen als im Fernsehen. Die Weite der Bilder, die sich Zeit lassen, hätten zwischen den Kanälen, in der Flut der schnellen Schnitte und Programme kaum eine Chance, den Zuschauer so lange zu halten, bis sie ihren Zauber entfalten. Und dabei ist es umso passender, dass auch das Koki zwischen 2 Kanälen liegt: dem Wehrneckarkanal und dem Rossneckarkanal. Die aus dem Koki eine Insel machen, auf der sich vor allem die kleinen Filme finden, für welche die großen Kinos keine Zeit finden.

Ein Jahr später, ein paar Tage später, der Gedanke in einem Buch, dessen Umschlag ebenfalls grün ist, und etwas abgegriffen. Hermann Hesse. Kleine Freuden.

"Leider aber hat sich diese Hast des modernen Lebens längst auch unserer Art zu genießen bemächtigt. 'Möglichst viel und schnell' ist die Losung. Daraus folgt immer mehr Vergnügen und immer weniger Freude. So wenig als andere weiß ich ein Universalrezept gegen diese Mißstände. Ich möchte nur ein altes, leider ganz unmodernes Privatmittel in Erinnerung bringen: Mäßiger Genuss ist doppelter Genuss. Und: Überseht doch die kleinen Freuden nicht!"

Das grüne Buch, es ist 1977 gedruckt, in der Zeit vor den Privatsendern. Doch der Text, er ist weit älter. 1899 steht dort, unter der letzten Zeile.

Einen Tag später verbinden sich das grün des Buches und das grün des Kokiprogramms zu einem Gedanken. Jeden Monat ein Film. Wenn es sich ergibt. Der für Januar ergibt sich ohne Suchen: Die blaue Grenze. Blau wie blueprint, blau wie touch the blue.

„Das Leben, der Tod, die Liebe und die Einsamkeit sind die großen Themen, derer sich Regisseur Till Franzen in seinem Kinodebüt „Die blaue Grenze" in aller Bescheidenheit annimmt. Das Ergebnis ist ein poetischer, stimmungsvoller und mystischer Film - ganz und gar nicht verplappert, sondern in sich ein Geheimnis bewahrend."

Auch die Mitsegler finden sich, leicht wie bei der großen Reise. Und auf dem Weg zieht das Bild der blauen Grenze bereits seine Kreise: ich verschicke das Filmbild, und zurück kommt eine Zeile, die hängen bleibt:

"Habe keine Angst, etwas zu verpassen."

Mit dem Stift, der silberweiß schreibt, male ich die sechs Worte auf ein Kalenderblatt. Hoffentlich fällt es nicht so schnell.

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