Friday, March 16, 2007

Paris, Joyce, Beckett



Manchmal gibt es zwischen Büchern unsichtbare Verbindungen. Orte und Namen, die an verschiedenen Stellen unterschiedlicher Bücher auftauchen, und eine eigene Geschichte schreiben, jenseits der Inhaltsverzeichnisse. Ich hätte es ahnen können, immerhin steht es auf Djuna Barnes Buch in weiß auf rot. Paris. Joyce. Von dort sind es nur ein paar Schritte zum Café Aux deux Magots, an dem Barnes ihn sieht, und erkennt.

In dem Augenblick, als ich ihn sah, schoß mir die Bemerkung eines seiner schwärmerischen Verehrer durch den Sinn - "Ein Mann, der wie kein zweiter Schriftsteller unseres Zeitalters ans Kreuz seiner Sensibilität geschlagen worden ist" - und ich sagte mir: Eine merkwürdige Art, einen Mann zu erkennen, den ich noch nie zu Gesicht bekommen habe.
Weil er vom Verbot der Little Review wegen des Ulysses-Abdrucks gehört hatte, setzte er sich zu mir, die ich mit der ganzen Geschichte vertraut war, und bestellte einen Weißwein. Er begann sofort zu reden. "Das Bedauerliche ist," sagte er, "das Publikum wird von meinem Buch eine Moral verlangen und sie darin auch finden - oder schlimmer noch, man wird darin womöglich etwas sehr Ernsthaftes erblicken, und ich gebe Ihnen das Ehrenwort eines Gentleman darauf, daß sich darin nicht eine einzige ernsthafte Zeile findet."

Nach Barnes dann Burroughs. Die Vier Apokalyptischen Reiter. Und ein Irrtum: das Buch ist keine Novelle, sondern ein Vortrag. Gehalten von Burroughs 1984, bei der Planet Earth Conference. Es beginnt mit einer Kurzbiografie. Oder eher: einer Kurzcharakerisierung, die neben einer MickeyMouse-Karrikatur steht, und sich wie Zeilen eines futuristischen Romans liest.

Er lebte in Tanger, Paris, London, New York. In seinem Werk brachte er die Cut-up-Technik zur Anwendung, eine komplizierte Montagetechnik, mittels derer die Macht des von der linken Gehirnhälfte gesteuerten linearen Denkens gebrochen und Assoziationsmuster bildende Aktivitäten der rechten Gehirnhälfte angeregt werden sollen.

Dann der Vortrag. Und die unerwartete Fortsetzung des Diskurses über Kunst, der Anfang Februar mit einem Zitat von Paul Klee zu Paul Auster führte, und seiner Aussage "The true purpose of art was not to create beautiful objects, he discovered. It was a method of understanding, a way of penetrating the world and finding one’s place in it." (aus: Moon Palace / Das Unsichtbare sichtbar machen). Und nun, Burrroughs. Einen Monat später. In überraschend klaren und ungecutteten Worten, die sich in gleich zwei Richtungen verbinden, einmal mit Auster, und einmal mit Ulysses.

Kunst und kreatives Denken haben meiner Meinung nach die Funktion, die Menschen auf etwas aufmerksam zu machen, das sie innerlich bereits wissen, aber noch nicht als Faktum anerkennen. Die Leute wußten, die Erde ist rund, sie glaubten, sie wäre flach. Als Cezanne zum ersten Mal ausgestellt wurde, begriffen die Leute nicht, daß es sich um Gegenstände in bestimmtem Licht, aus einem bestimmten Blickwinkel gesehen handelt. Das brachte sie dermaßen auf, daß sie die Leinwand mit Regenschirmen attackierten. Heute sieht jedes Kind: Dies ist eine Birne, dies ist ein Fisch. Ist der Durchbruch einmal geschafft, setzt sich das im allgemeinen Bewusstsein fest. Wie Joyce, der die Leute auf ihren eigenen Bewusstseinsstrom aufmerksam machte. Heute wird kein Mensch mehr auf den Gedanken kommen, den Ulysses als unverständlich einzustufen.

Also ob das nicht genug des Zufalls wäre: Samuel Beckett. Von dem ich nur wusste, dass er Ire war, Warten auf Godot geschrieben hat, und den Literaturnobelpreis bekam. Was ich nicht wusste - aber man ahnt es bereits: Beckett ging nach Paris. Und traf dort... Joyce. Was kein wirklicher Zufall ist.

Paris ist Ende der 1920er Jahre das künstlerische Zentrum der Welt und deshalb für den Aufenthalt eines jungen Mannes ein famoser Ort.
Joyce - er schreibt nicht über etwas, sein Schreiben ist dieses etwas selbst. Als ich ihn kennenlernte, hatte ich nicht vor, Schriftsteller zu werden. Das kam erst später, als ich herausbekam, daß ich überhaupt nicht zum Lehrer taugte.


100 Seiten weiter in der Biografie hat die Zeit das Jahr 1969 erreicht. Beckett lebt in Ussy, schreibt auf französisch, und geht seiner Lungen wegen in Winterurlaub mit seiner Frau nach Tunesien, wo das Paar von Dauerregen und Überschwemmungen heimgesucht wird, die sie ans Mittelmeer vertreiben. Dort erreicht Beckett, der nicht bereit ist, öffentlich aufzutreten, eine weitere Katastrophennachricht in Form eines Telegramms: "Trotz allem haben sie Dir den Nobelpreis verliehen - Ich rate Euch, unterzutauchen."

Und auch bei Beckett liest sich die Biografie wie ein Roman. Und schließt den Kreis um Paris.

Zu den Problemen, die der Nobelpreis Beckett einträgt, zählt das Preisgeld von immerhin 375.00 Kronen. Den Preis nimmt Beckett an ("es wäre unhöflich, ihn zurückzuweisen"), doch das Preisgeld gibt Beckett weiter. Im Gegensatz zu Joyce - "Der hätte es auszugeben gewusst" - hat Beckett keine Verwendung für so große Summen, und bittet seine Verleger um Adressen von Autoren, die Geld gebrauchen können. Das gesamte Preisgeld verteilt er anonym an Schriftsteller - darunter auch Djuna Barnes, die Beckett aus den Jahren gemeinsamer Joyce-Bekanntschaft kennt.

Barnes, Burroughs, Beckett
Paris, Joyce, Paris

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