Monday, July 09, 2007

versuche zu verstehen



Sonntag, diesmal mit Regen der eigentlich für den Abend angekündigt war, aber schon mittags aufkam, und die Welt in Wasser taucht.

Lesewetter, beschließe ich als ich wieder trocken bin, und ziehe mich auf meinen Katzenplatz zurück. Während draußen die Tropfen fallen, tauche ich in die Welt der Global Frequency ein. "Politisch provokantes explosives Storytelling," stellt Entertainment Weekly dazu fest. Na dann, denke ich. Und versuche zu verstehen.

"Bitte verstehen Sie das nicht falsch. Ich würde eine andere Lösung vorziehen," sagt Miranda Zero dort. "Aber es gibt niemand anderen für diesen Job. Selbst die G8-Staaten zahlen uns Schweigegeld. Für all das Grauen, das wir aufspüren. Schliesslich müssen wir uns vor den Dingen retten, die uns heimsuchen. Und manchmal darf man dabei nicht zimperlich sein."

Das Schöne an Global Frequency: die Guten sehen alle gut aus. Und auch das Böse ist hübsch klar als solches zu erkennen: die Heimsuchung ist dunkel und grauslig. Und kommt von einem Ort, der mit der Welt der normalen Menschen nichts zu tun hat.

Das Gegenstück dazu: Nadine Gordimer. Sie erzählt von der ganz normalen Welt, von der Ambivalenz von Gut und Böse. Von den Mechanismen, welche die Welt an manchen Orten zu der macht, die sie ist. In diesem Fall, in Anlaß zu lieben, von den psychischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer Ordnung, die darauf besteht, Recht und Gesetz je nach der Hautfarbe zu relativieren.

Die Stimmung des Abends, der hinter ihnen lag, war eine, die darauf verwies, daß Männer und Frauen weder gut noch schlecht, weder glücklich noch unglücklich sind, sondern in dem Versuch zu leben hier genossen und dort litten; unbesonnen, gelegentlich voller Glück, oft komisch. Mensch zu sein bedeutete, bei alledem miteinander Nachsicht zu haben.

454 Seiten lang ist der Anlaß zu lieben. Ich lese ihn in 4 Tagen. Und kehre mehrmals zu den sieben Zeilen von Jessie zurück, der weißen Frau, die zusammen mit ihrem Mann Tom einen Freund bei sich aufnehmen, und auch dessen Freundin Ann, welche sich dann in Boaz, einen Bekannten von Jessie und Tom verliebt. Eine fast übliche Liebesgeschichte, nur dass Boaz schwarz ist. Und dadurch für alles andere Regeln gelten. Die sieben Zeilen, sie stammen aus einem Brief, den Jessie schreibt, und den sie dann zu einem Ball zerknüllt, der auf dem Rasen liegen bleibt.

"...Erinnerst du dich an diese Seidenraupen, deren Kiefer nie stillstanden und die man, wenn man sich im Zimmer absolut ruhig verhielt, tatsächlich hören konnte, wie sie loslegten? - So hungrig gewesen zu sein, und nicht gewußt zu haben, warum. Aber dann waren sie satt, und plötzlich wussten sie, wie Seide gesponnen wird."

Vor Jahren hatte ich dieses - oder ein anderes - Buch von Nadine Gordimer schon einmal in der Hand. Neugierg auf den Inhalt, insbesondere weil "Nobelpreis für Literatur 1991" auf dem Cover des Buches stand. Damals war ich enttäuscht. Die Erinnerung daran reichte bis zu dem Besuch in der Bücherei. Dort nahm ich das Buch, legte es wieder zurück, nahm es dann doch. Zum Glück.

Es hat nur einen Nachteil: seit ich Gordimer gelesen habe, wirken die nächste Bücher nicht mehr wirklich anziehend. Und zu männlich. Günter Grass. Graham Greene. Maxim Gorki.

Daher erst einmal die Zeit. In der Georg Diez über die unerreichten Vorbilder für junge, ungezähmte Literatur schreibt, und sich dabei auf Maeve Brennan und Truman Capote bezieht. Und sich dabei interessante Gedanken darüber macht, warum Kurzgeschichten besser als Romane zum Leben passen.

So ist das Leben, es passiert, und wer versucht, es zu halten, hat schon verloren. Ein "buddhistisches Nickerchen" nannte der kürzlich verstorbene Kurt Vonnegut die Erzählung, es geht so dahin, dann ist es vorbei, ist da etwas gewesen, ein Leben, ein Schicksal? Tätiges Nichts-tun also, Gedanken in Bewegung, die sich an den offenen Enden verhaken, diese offenen Enden, die ein Geschenk für den Leser sind, weil sie ihm Raum lassen und Luft.

Tätiges Nichtstun. Das passt wiederum zu dem Spruch auf einem Plakat, das seit ein paar Wochen in der Bücherei hängt: "Faul sein ein Buch lesen ist nicht." Steht da.

Was lese ich jetzt als nächstes?

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