Monday, April 23, 2007

Mit Kafka zum Strand



Montag morgen auf Mallorca. Nach dem Frühstück schauen wir noch am Kiosk vorbei, um Getränke in Dosen ganz ohne Pfand zu holen. Dabei sehen wir den neuen Spiegel. Früher brauchte der zwei bis drei Tage, bis er hier ankam. Nun ist er so schnell wie daheim. „Mitnehmen?“ fragt Ronnie. Ich schaue das Titelbild an. „RAF - Der Dritte Mann“, verkündet es düster in schwarz-weiß-rot. „Weiß nicht,“ sage ich. Einen Moment später hat Ronnie die Seiten in der Hand. Mein Blick fällt aufs nächste Regal. Dort liegt, aufgebauscht verpackt wie für verspätete Ostern, die spanische Variante der Vogue, genannt Glamour: „La Revista de Moda Más Vendida de Espana“. Mit pinkfarbenen Titel und mit modisch schwarzer Mangotasche als Extra. Mmmm denke ich, ziehe das bunte Stück aus dem Regal, und lege es mit einem Lächeln neben dem Spiegel auf den Tresen. News für den Mann, Chic für die Frau. Die spanische Kassiererin lächelt zurück. Gracias, sage ich als sie mir die Tüte hinhält. Bitte, antwortet sie.

Eine Stunde später liegen Glamour und Terror glücklich unberührt vereint neben dem Mallorca-Reiseführer, während ich in der Zeit-Literaturbeilage blättere. Dort geht es um Ingo Schulzes dreizehn Geschichten in alter Manier. „Nichts ist, wenn man es genau nimmt, ohne Belang, überall ist Wunderland,“ stellt die Zeit in der Rezension fest. Und fügt dann ein Zitat aus einer anderen Epoche, von einem anderen Menschen an, das nicht nur deshalb hängenbleibt, weil es so erstaunlich gut zu dem Haruki Murakami-Buch passt, das ich gerade lese, und das ich gerade eigentlich doch lieber als Rezensionen lesen würde. Aber erst notiere ich das Zitat, von Kafka.

Das ganze Leben ist eine einzige Ablenkung,
die nicht einmal darüber zur Besinnung kommen lässt,
wovon sie ablenkt.


Dann greife ich mir das Murakami-Buch. Kafka am Strand. Und verabschiede mich von der Zeit an genau diesen, um dort zu den Zeilen zurückzukehren, bei denen ich gestern aufgehört habe zu lesen, weil sie wirklich für heute gedacht waren.

Es ist Montag, und die Bibliothek ist geschlossen. Es ist dort immer ruhig, aber am Ruhetag ist es äußerst still. Die Bibliothek wirkt wie ein von der Zeit vergessener Ort. Oder wie einer, der so leise atmet, dass die Zeit ihn übersehen hat.

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Saturday, April 21, 2007

Im unterwegs sein bleiben



Was hatten Sie sich für diesen Urlaub hauptsächlich vorgenommen?, fragt wissbegierig das kleine Buch, das mir von der Thomas-Cook-Kundenabteilung zugeschickt wurde. Es ist Teil einer Studie, für die ich per Zufallsprinzip ausgewählt wurde. Als kleines Dankeschön gibt es zu dem kleinen blauen Buch ein Voucher für zehn Kilo Freigepäck. Pro Person. Damit erledigt sich einer der Vorsätze für diesen Urlaub bereits vor dem Abflug: weniger mitnehmen.

Stattdessen stocke ich meinen Bücherstapel kräftig auf. Zu Adolf Muschg und Haruki Murakami, die beide schon seit Weihnachten warten, gesellt sich nun Zadie Smith von Amazon. Und Fjodor Dostojewski aus der Bücherei. Dazu, ein Buch das es noch gar nicht gibt, aber genau für die Zeit auf Mallorca passt: eine philosophische Reise von Peter. Und dann, um auch die letzten freien Kilos mit Inhalt zu füllen, ein Zen-Buch von Inge. Auch blau.

Hiermit beantwortet sich auch die Cook-Frage nach dem Ziel dieses Urlaubs: unterwegs sein. An einem anderen Ort, unter einem anderen Himmel, in Gedanken, am Strand. Diese Antwort ist – genauso wie der Vorsatz, weniger mitzunehmen - leider nicht vorgesehen. Dafür finden sich im ersten Kapitel der philosophischen Reise weitere gedankenvolle mögliche Antworten.

In der Fremde findet sich das Eigene, und ineins damit blitzt die vage Hoffnung auf, das eigene Leben könne sich runden. Eine Hoffnung, mehr nicht, doch mehr soll es auch nicht sein, darf es nicht sein, mehr wäre weniger, denn nur die Hoffnung treibt, nicht aber die Gewissheit. – Wie war das doch, Reisen als Nahrung für die Seele?

Zu meiner Überraschung beginnt auch das Muschg-Buch mit einer Reise. Die zuerst einmal nach Lausanne führt, und bei der es Vordergründig um Musik geht, aber zum gleichen Teil auch um das Suchen und Finden.

Plötzlich fiel Leuchter auf die Knie und begann, erst unter seiner, dann unter Sumis Bank nach etwas zu suchen, als gelte es sein Leben. Als er sich aufrichtete, hatte er Tränen in den Augen. Verloren, sagte er.
Hier ist etwas, sagte sie. Sie hielt ihm ein kleines, würfelförmiges Paket hin, das in Seidenpapier gewickelt war.
Wo hast du das her?
Es ist dir gerade herausgefallen, sagte sie.
Warum hast du das nicht gleich gesagt?
Du musstest erst mit Suchen fertig sein.

Die Reise nach Lausanne, sie führt wiederum zu einer anderen Reise, später, und weiter, bis zu einem Tempel in Kyoto. Zu dem, ganz wortwörtlich, ein Philosophenweg führt.

Der Philosophenweg war menschenleer, der Wald knisterte und tropfte. Bambuswedel bogen sich unter der Nässe, von der Dachrinne lief Waser über geschmiedete Ketten oder Stränge kupferner Glöcklein.
Wenn du dem Buddha begegnest, töte den Buddha, sagte Ayu.
Wer sagt das? fragt Leuchter.
Zen. Davon verstehen Sie sicher mehr als ich.
Ich verstehe gar nichts.
Dann haben Sie es nicht mehr weit zur Erleuchtung.

Auch das blaue Zen-Buch führt mich zu einer Episode nach Japan. Zu einem Meister des Bogenschießens und zu seinem Schüler. Und zur Frage, worum es sowohl beim Bogen und dem Pfeil, als auch allen anderen Zielen geht.

Denn worauf kommt es denn an? Doch nicht aufs Treffen! Beim Bogenschießen, sowenig wie beim Erlernen irgendeiner anderen Kunst, geht es letzten Endes nicht um das, was herauskommt, sondern um das, was herein kommt! Herein, das heißt, in den Menschen herein. Das Üben im Dienst an einer äußeren Leistung dient über sie hinaus dem Werden des inneren Menschen. Und was gefährdet dies innere Werden des Menschen vor allem? Das Stehenbleiben im Gewordenen! Im Zunehmen bleiben muß der Mensch, im Zunehmen bleiben ohne Ende!

Im Zunehmen bleiben. Im unterwegs sein bleiben. Um in der Fremde das Eigene zu finden, jenseits des Suchens.

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Sunday, April 08, 2007

Carmina Universa



Das Universum ist tonlos, tonlos wie die Zeit an sich. Das ist, was ich in der Schule lernte. Auch all die Science-Fiction-Filme, die lautstark interstellare Phaser-Kämpfe in Zeitlupe auf Großleinwand zelebrierten, konnten mich da nicht in die Irre führen.

Das Universum ist still, still wie die Steine, wie die Kiesel am Weg, wie die Atome und Elektrone, aus denen alles sich zusammengefügt. Denke ich. Blättere durch die raschelnden Papierseiten der Zeit. Und lande bei einer neuen Welttheorie. Die in Oberfrequenzen tönt.

Die sogenannte Stringtheorie. Wenn sie stimmt, dann hängt buchstäblich der Himmel voller Geigen. Das Universum besteht demnach aus nichts als winzigen schwingenden Saiten - eben Strings. Je nachdem, mit welcher Oberfrequenz ein String vibriert, wird er zu dieser oder jener Teilchensorte.

Obertöne, echot es in meinen Gedanken, während meine kleinen grauen Zellen bei der Vorstellung eines String-Universums anfangen, sich um ihre eigene Achse zu drehen. Die Stringtheorie hat noch eine zweite sympathische Eigenschaft: sie lässt sich mit den Mitteln, die der Menschheit momentan zur Verfügung stehen, nicht beweisen. Die Strings sind zu winzig, um sie in Laborgeräten auszuloten.

Zwei Tage später sitze ich auf den Kieselsteinplatten im Garten, und lese in dem Buch, dass ich aus der Bücherei mitgenommen habe, des Titels wegen: Ernesto Cardenal. Wortseelen -Waldmenschen. Band 6 aus seinem poetischen Werk. Ich blättere zufällige Seiten auf, und lande zwei Mal an der gleichen Stelle, bei einem Gedicht der Araukaner aus Chile.

Ich muss wieder beten wie früher,
Wie früher muss ich die Stimme erheben.
Zum Blauen König werde ich beten.
Zur Blauen Königin werde ich beten.
Wie der Gesang des Vogels rupkadiuka sei mein Gesang.
Ich lebe, und ohne Furcht ist mein Herz.
Keine Leere ist geblieben.
Mein Herz wird singen.

Gedichte, nicht geschrieben von Cardenal, sondern gesammelt von ihm auf den Kontinenten der Welt. Die Erklärung dazu, im Vorwort, das Worte und Bedeutungen auf mir unbekannte Wurzeln zurückführt: das lateinische Wort carmen (Gesang) kommt vom sanskritischen Wort karma (rituelle Handlung), skizziert es.

Karma. Carmen.

Und dann - J.M. Coetzee. Keine Wissenschaft, sondern ein Roman. Schande, heißt er auf deutsch. Im Original: disgrace. Keine Poesie, vom Titel her. Doch die Hauptfigur: ein Professor für Romantische Lyrik an der Technischen Universität von Cape Town. Der sich als Dozent für Kommunkation wiederfindet, und nebenbei ein wenig Lyrik lehren darf.

This year he is offering a course in the Romatic poets. For the rest he teaches Communications 101, 'Communication Skills', and Communications 201, 'Advanced Communication Skills'.
Although he devotes hours of each day to his new discipline, he finds its first premise, as enunciated in the Communications 101 handbook, preposterous: 'Human soeciety has created language in order that we may communicate our thoughts, feelings and intentions to each other.' His own opinion, which he does not air, is that the origins of speech lie in song, and the origins of song in the need to fill out with sound the overlarge and rather empty human soul.


Human souls.
Wort seelen.
String universen.

Strike a chord....

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