Tuesday, September 18, 2007

Farm der Menschen



September. Herbstblätter, die über Nacht auftauchen. Im Spiegel, ein Leitartikel über die Biologie von Moral und Unmoral, der mich zurück bringt zur Anfangsfrage dieses Blogs, skizziert im November 2005, durch Sommerstücke im November:

"Woher kommt dieses Bedürfnis überhaupt, die Momente zu skizzieren, in Worten, auf Papier, sie zu drehen. Dieses Bedürfnis, geschriebene Worte zu teilen. Und diese Versuche, in Sätzen auf den Grund der Dinge zu tauchen."

Aktuelle Forschungsergebnisse von Neuroforschern geben eine mögliche Antwort darauf. Oder bessergesagt: eine mögliche Frage.

Inzwischen glauben Forscher sogar jene biologischen Strukturen identifiziert zu haben, die Menschen zu Mitgefühl und Empathie befähigen. Im Kopf etwa eines Menschen, der nach einem Gegenstand greift, und im Kopf eines Menschen, der ihn dabei beobachtet, feuern die gleichen Nervenzellen. Dank dieser sogenannten Spiegelneuronen kann der Mensch die Empfindungen eines Gegenübers offenbar im eigenen Kopf ablaufen lassen - liegt hier der Ursprung des Mitgefühls und damit letztlich der Moral?

Der Artikel nimmt dann die Kurve zu Serienmördern, und die These, dass ihr Verhalten eventuell auf einer Fehlfunktion ihrer Spiegelneuronen basiert - was dann zur Frage führt, ob sie möglicherweise im Sinne es Strafrechts dann nicht - oder dennoch - schuldig sind.

Die Kurve, die meine Gedanken machen, führt in eine andere Richtung - zum Schreiben. Und zu einem Text von Peter Bieri, der mit 2 Fragen beginnt. Und sich um das Wesen der Bildung dreht.

Wie wollen wir leben?
Wie wäre es, gebildet zu sein?

Zur Bildung gehört die Einsicht in die historische Zufälligkeit der Art, wie wir denken, fühlen, reden und leben: Es hätte alles auch anders kommen können. Dieses Bewusstsein drückt sich aus in der Fähigkeit, die eigene Kultur aus einer gewissen Distanz heraus zu betrachten und von dem naiven und arroganten Gedanken abzurücken, die eigene Lebensform sei den anderen überlegen und einem angeblichen Wesen des Menschen angemessener als jede andere.

Wenn ich in diesem Sinne gebildet bin, habe ich eine bestimmte Art von Neugier: wissen zu wollen, wie es gewesen wäre, in einer anderen Sprache, Gegend und Zeit, auch in einem anderen Klima aufzuwachsen: wie es wäre, in einem anderen Beruf, einer anderen sozialen Schicht zu Hause zu sein. Ich habe das Bedürfnis zu reisen und dadurch meine inneren Grenzen zu erweitern.

Und diese Reisen, - denke ich - können dann 2 Formen nehmen: die Weltreise. Oder - die Gedankenreise. Per Bild. Oder Schrift. Wir schreiben und lesen, um die Innenansichten anderer Lebenswelten erleben zu können. Und unsere Neuronen bilden dabei die Projektionsfläche, sind unsere Kinoleinwand, unser innerer Spiegel. Der ohne weiteres die Tür in eine Märchenwelt öffnet. Mitten in Willinghams neues Band der Fables, zur Farm der Tiere. Dort ist gerade eine Revolution im Gang. Gevatter Fuchs lässt sich dennoch dazu hinreißen, seine Gedanken laut zu äußern - was im Fall einer Revolution immer tödlich enden kann.

Woran liegt es, dass ihr Polit-Fanatiker unbedingt in einer völlig symbolischen Welt leben wollt?
- Und war der arme Colin nicht auf Eurer Seite? Ist schon die Phase der Revolution angebrochen, in der man sich gegenseitig an die Gurgel geht?

Der Gedanksprung führt zu einer kleinen Erkenntnis: Bücherverbrennen macht in Zeiten, in denen Mitgefühl nicht erwünscht ist, akut Sinn. Genauso wie symbolische Welten, in denen Gefühle sauber sortiert sind. Oder?

Fragen und Fragen. Ist es nur ein Gefühl, oder nimmt die Zahl der Fragen zu, je weiter man sich in Richtung möglicher Antworten bewegt?

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Sunday, September 02, 2007

Der alte Mann und die Worte



Von Hemingway gibt es ungefähr 20 Bücher, und dazu noch einmal so viele Biografien. Wo anfangen? Ich ziehe ein Buch nach dem anderen aus dem Regal. Der alte Mann und das Meer - hatte ich schon ausgeliehen. Inseln im Strom - habe ich auf englisch in Frankreich gelesen. Schließlich bleibe ich bei dem Sammelband "Stories I" hängen. Und packe als Hintergrund für die Stories die Rororo Biografie von Hans-Peter Rodenberg dazu.

40 Seiten und 3 Stories weiter wird mir vor allem bewusst: Ich wusste nicht, dass Hemingway an so vielen Orten war. Und zugleich so weit davon, sich selbst sicher zu sein.

Das Trauma der Kindheit verließ Hemingway nicht, er wollte - mußte - ein richtiger Mann sein, kein verweichlichter Intellektueller. Auch äußerlich gab sich Hemingway proletarisch, trat mit Baskenmütze und grober Kleidung auf, um sich von der Schickera der Cafészene und der amerikanischen Literaturbohème abzusetzen. Schreiben, das war Arbeit und nicht Provokation wie bei den Dadisten oder Surrealisten. Alles, was du tun mußt, ist einen wahren Satz zu schreiben, sollte er später über diese Zeit urteilen. Schreib den wahrsten Satz, den du weißt.

Erst weitere 20 Seiten und 2 Stories weiter fällt mir ein, dass es hier irgendwo auch ein Hemingway-Buch geben muss. Und ja. Da steht es. Ein blaues Hardcover, von 1966. Ich öffne es. Und muss lachen. Von allen Büchern in der Bücherei habe ich das ausgewählt, das bereits bei mir im Regal stand. Nur, dass das blaue Buch eine zusätzliche Geschichte enthält: Der alte Mann und das Meer. Never judge a book by its cover, denke ich.

Und noch eine Querverbindung - durch ein Zitat in der Biografie lese ich eine der Geschichten, die ich sonst vielleicht übersprungen hätte. Was schade gewesen wäre. Denn damit hätte ich die Seidenraupen verpasst.

In jener Nacht lagen wir im Zimmer auf dem Fussboden, und ich hörte dem Fressen der Seidenraupen zu. Die Seidenrapen fraßen Maulbeerblätter auf den Hürden, und die ganze Nacht über hörte man sie fressen und ein fallendes Geräusch in den Blättern. Ich für mein Teil wollte nicht schlafen, weil ich schon sehr lange mit dem Wissen lebte, daß meine Seele, falls ich je im Dunkeln die Augen zumachte und mich gehen ließ, meinen Körper verlassen würde.

Falls ich mich gehen ließ. Und die Seidenraupen - sie kamen fast auf die gleiche Art in Nadine Gordimers Roman vor. "...Erinnerst du dich an diese Seidenraupen, deren Kiefer nie stillstanden und die man, wenn man sich im Zimmer absolut ruhig verhielt, tatsächlich hören konnte, wie sie loslegten? - So hungrig gewesen zu sein, und nicht gewußt zu haben, warum. Aber dann waren sie satt, und plötzlich wussten sie, wie Seide gesponnen wird."
Ob sie damit auf Hemingway angespielt hat?

Ich blättere noch einmal durch die Hemingway-Biografie. Und finde noch einen zweiten Satz über das Schreiben. Und den Menschen hinter den markigen Sprüchen.

Man erzählt der Presse, daß es einem nie besser gegangen ist, um ihnen nicht das Geheimnis unserer Profession zu verraten, die Notwendigkeit, alles durchzustehen.

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