Tuesday, May 22, 2007

Jener Zen-Rhythmus



An manchen Tagen kreisen die Gedanken ziellos wie Mücken unter einem Olivenbaum. Dann, ohne Ankündigung, fällt der richtige Satz zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Und eine Tür geht auf.

I also had this crazy idea
to take four days and
go to... Berlin. But this is far
more complex to arrange.

So I'm just tossing ideas
in the air right now and you
let me know how you feel
and what comes to your mind.


Schrieb mir E. aus Tel Aviv nach Pollenca. Und weil es in Pollenca seit diesem Jahr W-Lan gibt und weil Ideen jonglieren gut zu Dienstagen im April passen, klickte ich zur Seite der Fluggesellschaft mit den zitronengelben Flügelspitzen. Klickte Stuttgart. Und Berlin. Und lächelte.

Und jetzt, genau in der Woche vor dem Abflug, landet die 21. Zeit des Jahres im Briefkasten, und enthält, genau zum richtigem Zeitpunkt, ein Berlin Spezial. Mit Kurzanleitungen zum Berliner Understatement, und mit einem Ausflug über Paris, der zum optimalen Genussrhythmus von Berlin führt.

Sobald er in Paris ankommt, hastet er ohne Zeitdruck
durch die langen Gänge der Metro.

In Berlin liebt er den Zen-Rhythmus der öffentlichen Verkehrsmittel.
Berlin ist eine langsamere Stadt.

Man traut hier dem explizit modischen nicht über den Weg.
Man traut überhaupt allem frisch Gekauften nicht über den Weg.

In Berlin ist das Leben samtweich.
Nichts geht hier über ein wohlüberlegtes Maß Nachlässigkeit.


Dann war noch, zwischen letztem Dienstag und diesem Dienstag: das literarische Cafe. Mit dem Thema: Tod und Kreislauf des Lebens. Ich bringe weiße Iris mit. Und Marie Luise Kaschnitz. Die ihre eigenen Zen-Bilder in Worten zeichnet.

Abend

Nachleuchten des Abendlichts
Auf weißen Treppengiebeln
Pfaffenweiler
Und schlohigem Schneeballenbusch
Bei schon untergegangener Sonne

Nachleuchten einer Person
Licht aus den Todritzen
Aufsteigend Jahr um Jahr
Und doch kommt die Nacht
Ist die Nacht
Taubschwarze
Unabwendbar.


Das Gegenstück, oder vielleicht einfach die Weiterführung des Kreises - ein Jahrhundert früher, bei Eichendorff. Den ich fast nicht mitgenommen hätte aus der Bücherei. Und desssen Zeilen ich nun am Samstag auswendig lernte. Bei noch unaufgeganger Sonne.

Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.


Abra. Kadabra. Ist es. Nicht.

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Wednesday, May 16, 2007

Richtung West



Es ist Mai. Und damit, Zeit für E-Bücher. "E wie... ", fing ich den Satz an. Dachte, es wäre einfach. Ist es aber nicht. "Enzensberger," sagt I. "Evans," antworte ich. Dann folgt eine Denkpause. "Eco." Pause. "Ende." Pause. Und: Ende.

Daheim dann, der Blick ins Bücherregal. Und Tatsache: 15 A-Bücher. Aber nur 2 E-Bücher. Umberto Eco, Der Name der Rose. Und: Laura Esquivel, Bittersüße Schokolade. Oder eigentlich: Wie Wasser für Schokolade, wie der Originaltitel heißt. Como agua para chocolate. Ansonsten, E-bbe.

Drei Tage in der Bücherei ein ähnliches Bild: Regale voller A- und B- Bücher. Sogar bei C und D gibt es mehr als bei E. Hätte ich nicht gedacht. Aber dazu sind Experimente ja da: um unerwartete Ergebnisse zu ermöglichen. Immerhin findet sich in der Übersichtlichkeit des E-Regals Enzensberger einfacher. Sieben Bücher von ihm stehen da. Ich sehe rot, und greife zu. Die große Wanderung, heißt das Buch. Und führt direkt von diesem einen Raum in das Große und Ganze. In 33 Markierungen.

Eine Weltkarte. Schwärme von blauen und roten Pfeilen, die sich zu Wirbeln verdichten und gegenläufig wieder zerstreuen. Unterlegt ist dieses Bild mit Kurven, die farbig getönte Zonen verschiedenen Luftdrucks voneinander abgrenzen: Isobaren und Winde. Hübsch sieht eine solche Klimakarte aus; aber wer keine Vorkenntnisse hat, wird sie kaum deuten können. Sie ist abstrakt. Einen dynamischen Prozeß muß sie mit statischen Mitteln abbilden. Nur ein Film könnte zeigen, worum es geht. Der normale Zustand der Erde ist Turbulenz. Das gleiche gilt für die Besiedelung der Erde durch die Menschen.

Den Film gibt es dann ungeplant später. Die Richtung der Wanderung wurde dabei treffenderweise zur Filmkategorie: Western. Spiel mir das Lied vom Tod. Die Szenen so geladen mit Spannung und Musik, dass die Handlung in den Hintergrund rückt.

Und sie reiten immer noch, denke ich einen Tag später, als ich an einem gänzlich anderen Ort gleich wieder auf Colts und Cowboyhüte stoße: In der Villa Merkel. Brave Lonesome Cowboy heißt die Ausstellung. Dort, zwischen einer Wy-o-ming Videoinstallationen und einem Bild vom letzten Mohikaner, finden sich auf einem Begleitblatt Gedanken zum Grundmuster des Genres, diesmal ohne Bild, ohne Pfeile, nur in Worten.

Die narrativen Strukturen und die Motive des Westerns sind ungebrochen faszinierend: in den Filmen wird Neuland zivilisiert oder es werden gesellschaftliche Ordnungen implimentiert sowie Aufbrüche gewagt. Verführerisch ist die fast naive, zumindest plakative Idee des Guten. Dabei tritt das Gute immer von außen zur Regelung dessen auf, was in einer Gemeinschaft aus dem Ruder läuft, und bleibt dabei letztlich immer beziehungslos zu eben dieser Gemeinschaft.

Der Lonesome Cowboy. Der glorreich in den Sonnenuntergang reitet. Richtung West.

Interessanterweise hat auch 'Spiel mir das Lied vom Tod' im Original einen anderen Titel: 'Once Upon a Time in the West'. Genauso wie das Eco-Buch, das ich zusammen mit Enzensberger und diversen anderen E-Büchern auf meine Wanderung durch die Wortwelt mitnahm. 'Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß' heißt es auf deutsch. 'La Bustina di Minerva' auf italienisch. Und enthält eine Gedankenreise in 41 Essays, die - ungeplant parallel zu Enzensberger - mit 'Migration' beginnt. Und dann kurz vor dem heiteren Ende ('Wie man sich heiter auf den Tod vorbereiten kann') ein weiteres kulturelles Grundmuster ausleuchtet: das der Klassiker. Ein Grundmuster, das vielleicht auch meiner alphabetische Buchreise innewohnt.

Die Lektüre der Klassiker ist eine Reise zu den Wurzeln. Oft sucht man die Wurzeln nicht aus Sehnsucht nach etwas, das man gekannt hat, sondern in dem vagen Gefühl, daß man aus einem unbekannten Stamm hervorgegangen sein könnte.
Die andere schöne Überraschung, die uns die Klassiker oft bereiten, ist die Erkenntnis, daß sie moderner waren als wir.


Es warten noch: Eichendorff, Eliot, Esterhazy.

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