Wednesday, February 14, 2007

Lichter im Fluss



Eine Woche voller Geschichten. Voller Filme. Voller einzelner Episoden, die zusammen ein Netz aus Stimmungen bilden, einen Fluss aus Gedanken.

Der Anfang davon: Congo River im Koki.

Ein unbequemer, politischer Film. Die kluge Dramaturgie, die eindringlichen, schockierenden, wunderschönen, tieftraurigen und fröhlichen Bilder bleiben im Gedächtnis haften. Thierry Michel gelang eine anstrengende, aber letztendlich bewegende Dokumentation, die Missstände auf unaufdringliche Weise anprangert und einen weiten Blick über den Tellerrand hinaus gewährt.

Congo River, er lief auch der Berlinale 2006. Im Moment läuft die Berlinale 2007. Und parallel dazu gibt es Berlinale-Filme aus früheren Jahren in 3sat. Koki im Fernsehen, sozusagen. Und dazu, Berichte von der Berlinale. Und Filmausschnitte zum Programm. So kam ich gestern zu "Lichter". Anfangszeit: 22.45. Im TV-Programm unten rechts auf der 2. Seite, und dann noch mit Verspätung. Was gut war, sonst hätte ich den Anfang dieses Filmes verpasst, der in gewisser Weise fast die Fortzsetzung von Congo River auf europäischer Ebene ist. In Lichter geht es um illegale Flüchtlinge, um Menschen aus Polen, die versuchen, nach Deutschland zu kommen. Im Film kommen sie erst nur bis an die Grenze.

"Deutschland, das ist hinter dem Fluss," erklärt ein alter Angler ihnen.
"Lass uns zurück nach Hause gehen," sagt dann eine Frau zu ihrem Mann. Er legt den Arm um sie, und um ihr Kind.
"Wir haben kein zu Hause mehr," sagt er dann.

Den Film habe ich nicht nur wegen der Zeit nicht zu Ende geschaut. Er war zu gut. Zu realistisch. Ohne Versprechen auf ein Happy-End. So habe ich ausgemacht, als noch offen war, ob die Frau mit dem Kind und der Mann es schaffen oder nicht.

Völlig unberlinalisch dagegen, das Buch das ich gerade lese. Walter Moers. Die Stadt der träumenden Bücher. Ein Märchen mit viel wahren Sätzen. Ein Buch über Bücher, das aber auch passend ist zur Programmflut der Fernsehkanäle, eine Flut, die so wenig wirklich gute Sendungen mit sich bringt, und wenn, dann vorzugsweise spät abends, so dass es möglichst keiner sieht.

„Das Problem ist: Um Geld zu verdienen – viel Geld! – brauchen wir keine grandiose, makellose Literatur. Was wir brauchen ist Mittelmaß. Ramsch, Schrott, Massenware. Mehr und immer mehr. Immer dickere, nichtssagendere Bücher. Deine Art zu schreiben aber ist so vollkommen, so rein, so rundum erfüllend, dass man nichts anderes mehr lesen möchte, wenn man sie einmal kennen gelernt hat. Sie zeigt auf beschämende Weise, wie mittelmäßig das ganze Zeug ist, das wir gewöhnlich lesen.
Weißt du, wie viel Mühe und Zeit es gekostet hat, die Literatur auf dieses genau regulierte Mittelmaß zu bringen, auf dem sie sich jetzt befindet?“


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Zeit- und Ortsprung: 200 Jahre zurück, nach England. Dort fuhr 1801 eine junge Frau namens Jane Austen zu ihren Verwandten nach Bath, um dort von ihnen in die 'gute Gesellschaft' eingeführt, und - nach Möglichkeit - auch eingeheiratet zu werden. Die Eindrücke dieser Zeit finden sich in ihren Romanen, und diese finden sich hier weil Austen mit A anfängt, und ich im Februar immer noch beim ersten Buchstaben meiner Lesereise bin.

"Meine Vorstellung von guter Gesellschaft", sagt Anne Elliot in Überredung, "ist die Gesellschaft von klugen, gut informierten Leuten, die sich eine Menge zu sagen haben; da nenne ich gute Gesellschaft."
"Sie irren," sagt daraufhin ihr Vetter Mr. Elliot, "das ist nicht gute Gesellschaft, das ist die beste. Gute Gesellschaft erfordert lediglich Rang, Erziehung und Umgangsformen, und im Hinblick auf die Erziehung ist sie nicht wählerisch."


Doch das Gute ist nicht unbedingt die leichteste Kost. Stellt mit englischem Humor Kathryn Sutherland in ihrer Einführung zu Mansfield Park fest. "It has long been agreed that this is Austen's most complex and profound and her least likable work.

Zeitsprug zurück, ins Jetzt, und zu 3Sat. Dort gab es noch Prêt-à-Porter, von Robert Altmann, der auch zu der A-Liste der Bücher gehören würde, wenn er Autor und nicht Regisseur wäre. Und vor dem mich Diana gewarnt hatte - und dadurch neugierig machte.

Unfortunately 'Prêt-à-Porter' is considered one of Altman's worst. He's best known for making sprawling films without a lot of structure and too many characters. Actors like him because he lets them improvise. Sometimes it works. Often they're just ridiculous.

Auch diesen Film habe ich nicht bis zum Ende gesehen. Doch im Unterschied zu Lichter nicht deshalb, weil er zu gut war. Der Schluss, der fehlt, ist noch auf Band. (Ab wann kann man sagen, man hat einen Film gesehen? Ab 50%? ab 70%?)

Und dann war noch - der Film, den ich nicht gesehen habe, da es ihn noch gar nicht gibt. Ein Film, in dem Norah Jones mitspielen wird.

Es ist meine erste Kinorolle. Anfangs war ich sehr nervös, weil ich solche Ehrfurcht vor Wong Kar-wei hatte. Doch nun stürze ich mich da einfach kopfüber hinein. Schwimmen oder untergehen. Ich vertraue seinem Vertrauen in mich. Er ist ein unkonventioneller Regisseur, der dir deinen Part erst in letzter Minute gibt. Er entwickelt die Geschichte, während er sie dreht, und er orientiert sich an den Menschen, die darin spielen. Er macht Filme wie andere Leute Musik.

Schwimmen oder untergehen.

Seltsam und bezeichnend, dass mir dieser Satz beim ersten Lesen gar nicht aufgefallen ist, dass ich beim tippen zweimal schauen musste, ob er wirklich da auf dieser Seite steht.

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Monday, February 05, 2007

Das Unsichtbare sichtbar machen



Isabel Coixet. Das geheime Leben der Worte. Neunter Januar. Koki.

Natürlich konnte ich da nicht wiederstehen. Ein Film über Worte, über das geheime Leben, das sie führen. Inge kam mit. Anne wäre auch mitgekommen, aber war schon, und schrieb mir daher schon vorab eine Zeile zum Film. "Stellenweise sehr traurig, aber dafür auch sehr gut. Wir machen uns immer noch Gedanken darüber."

Der Film stellt in klaren Bildern in einer rauen Umgebung die Frage, ob jeder Mensch für sich eine Insel ist. Dass Beobachtung menschlicher Schutzmechanismen vor emotionaler Schwäche unter die Haut geht, liegt in großem Maße an der unprätentiösen Leistung der Darsteller und der angenehmen Distanziertheit der Kamera von Jean-Claude Larrieu, der die Personen in den Fokus rückt, ohne in ihr Innerstes dringen zu wollen.

Unter die Haut gehen. Und Gedanken machen. Das macht der Film. Bei mir nicht so sehr während dem Sehen, sondern danach. Ich diskutierte im Kopf mit dem Film, mit der Regisseurin, mit dem Schluss, mit der Hauptfigur. Die ihren Namen im Film nicht sagen will. Die 2 Stimmen hat. Hanna. Oder hat sie nur 1 Stimme, und die andere Stimme gehört ihrer Freundin? Wie verändert sich die Stimme eines Menschen durch Gewalt?

Der Film, er lässt einen genauer hinhören. Genauer hinsehen. Und lässt einen mit anderen über Dinge reden, die dort auf der Leinwand sichtbar wurden.

"So ging es mir auch mit diesem Film," stellte Anne-Katrin fest. "Danach hat es gearbeitet und arbeitet immer noch in mir. Wie das wohl ist auf so einer Bohrinsel? Welche Menschen da wohl arbeiten, in echt? Und wer war die Stimme? Von dem her finde ich alle Filme gut, die mich zum Nachdenken bringen. Egal in welche Richtung."

Der Film, er ist immer noch präsent, auch 3 Wochen später. Eine Zitat von Paul Klee, abgedruckt in einem Kunstkatalog, genügt, um ihn aus dem Gedächtnis zu rufen.

Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.

Das macht gute Kunst aus. Nicht: schön zu sein. Sondern: zu bewegen. Etwas sehen zu lassen, was wir so noch nicht gesehen haben. Uns die Welt etwas besser verstehen zu lassen.

Das kommt nicht von mir, sondern von Paul Auster, aus seinem Roman „Moon Palace“:

The true purpose of art was not to create beautiful objects, he discovered. It was a method of understanding, a way of penetrating the world and finding one’s place in it.

Dann, 3 Tage später, ein Spaziergang in der Zeit. Genauer gesagt: das Aufräumen einiger Seiten aus der Zeit vom 11. Mai 2006. Ich blättere die Zeitung noch einmal durch, und finde dabei einen Artikel über Caspar David Friedrich, geschrieben von Ulrich Greiner. Und mit dem Artikel findet sich der Grund, warum diese Seiten noch hier sind. Weil sie genau jetzt hierher gehören:

Überhaupt kann man kann bei Friedrich eine Divergenz erkennen, die große Künstler nicht selten auszeichnet: dass ihre Gestaltungsfähigkeit hinter dem gewaltigen Schub ihrer Suche, ihrer Botschaft, ihrer Totalidee zuweilen zurückbleibt, so als ob die gültige Form nicht gefunden wäre; vielleicht, weil es sie nicht gibt. Diese Lücke bezeichnet den utopischen Überschuss. Bei anderen Künstlern hingegen - es sind die vom Publikum verehrten Virtuosen - ist das Gestaltungsvermögen größer als das Dargestellte.
Wahr ist leider, dass der heutige Kunstbetrieb, der alles goutiert, sofern es nur gefällt, dies Ursprungsidee weithin vergessen hat. Aber wenn uns die Kunst dort lässt, wo wir eh schon sind, dann brauchen wir sie nicht.


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