Sunday, April 20, 2008

Zweistrombucht



Zwei Wochen Inselzeit. Ich versuche, alles so gut wie möglich zu planen. Gehe in der Bücherei vorbei. Versuche mir vorzustellen, welche Bücher die richtigen sein könnten für die Bucht von Pollenca. Und stelle dann gleich am ersten Tag fest, dass ich wahrscheinlich daneben lag. Etwas besorgt suche ich das Wortglück im wild gemischten Bücherregal neben der Rezeption, bei den zurückgelassenen Büchern. Und finde dort das Hier. Mit Sue Miller. The World Below.

Here I am, she would think, looking at the room from this new perspective. This is me, seeing this. Feeling this. The world seemed, at these moments, to be arranged, fitted, exactly around her.

Das perfekte Buch zum Ankommen. Zum da sein. Auf der Mercurio-Steinterrasse mit Meerblick und Westwind.

Zwei Tage später dann, die nächste Überraschung. Das Buch von Erik Orsenna, das mit dem Ozeancover, ist doch passend. Und außerdem, gar kein Roman. Sondern ein Reisebericht über Meeresströmungen. Mit Zitaten von Platon, T.S. Eliot, und Hemingway. Mit Meereskarten. Und mit einem kleinen Einführungen in die Strömungslehre.

Eine Strömung ist kein echter Weg: Ihr fehlen die Ränder. Oder besser gesagt: die Ränder fliehen sie. Das beginnt mit einer kleinen Ausflucht, die eine Schlaufe formt und bald schon zum Wirbel wird, der ein Eigenleben führt.
Eine Strömung macht sich niemals allein auf den Weg. Sie ist immer von einer Gegenströmung begleitet. Als sollte auf das Grundprinzip jeglichen Gemeinschaftslebens hingewiesen werden: jeder Macht ihre Gegenmacht, jeder Mehrheit ihre Opposition.

Macht und Gegenmacht. Die mitgebrachten Bücher und die angetroffenen Bücher. Bei denen eine weitere Überraschung wartet, die ich beim ersten Mal glatt übersehen habe: D.H. Lawrence. Lady Chatterly’s Lover. In Penguin-Ausgabe mit Vorwort von Doris Lessing. Der ich in Kreta begegnet bin, im Miramar-Buchregal. Inselbücher, denke ich. Oder eher: Inselketten.

Die erste Zeile von Lawrence kommt dennoch unerwartet. Genauso wie der Kommentar von Doris Lessing, der sich für mich auch auf das ganze Buch beziehen könnte.

Ours is essentially a tragic age, so we refuse to take it tragically.

How could I have missed that?
But I hadn’t.


Über Lawrence komme ich zurück zum Golfstrom. Zu den Lofoten – und von dort, in ein anderes Buch, eines der Mitgebrachten. Die Hütte, von Kathrin Groß-Striffler. Die Deutsche unter all den Autoren. Und dennoch, das fremdeste der Bücher. Die Stelle, die hängenbleibt, bringt mich zu den Gegenströmungen zurück.Und zum Hier und Dort.

Wenn der Zug ganz in der Nähe vorbeidonnerte, dann konnte man denken, dass die Welt weit sei und voller Möglichkeiten und dass es irgendwo anders immer besser wäre als da, wo man war. Oder man konnte denken, dass die Welt woanders deswegen gut war, weil sie es da, wo man sich befand, ebenfalls war.

So wie hier. Umgeben von Wellen und Büchern. Und dem Dort. Ohne welches das Hier nur halb so weit wäre.

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