Thursday, November 24, 2005

Die Fremden



Camus im November. Muss wohl am philosophischen Cafe liegen. Oder daran, dass sein Name immer wieder auftaucht, aber dabei in meiner Vorstellung nur ein verschwommenes Bild wachruft. Auf der Suche nach ihm im Büchereiregal, zuerst diese blassen Heftchen in Plastikfolie, mit Kaffeeflecken. Dann ein dicker Wälzer, abschreckend schwer, daher wohl auch fast wie neu, obwohl schon alt. Und ein Buch von Zweitausendeins, das sich Sachcomic nennt.

Es fängt an mit dem Ende.

"4. Januar 1960. Nachmittags. Südlich von Paris, bei dem Dorf Villeblevin, 24 Kilometer von Sens entfernt, kommt auf der RN5 ein Facel Vega von der Fahrbahn ab und rast gegen einen Baum. Auf dem Beifahrersitz des völlig zerstörten Autos sofort tot: der Algerienfranzose, Résistancekämpfer und Literaturnobelpreisträger Albert Camus."

24 Kilometer vom Sinn entfernt. Es klingt fast wie Ironie, wo gerade Camus dem Leben einen Sinn abesprochen hat, davon ausgehend, dass wir zufällig in diese Welt geworfen wurden, und das Ende des Lebens schlicht der Tod sei. Was ihn dabei mehr berührte als der fehlende Sinn war der Umstand, dass unser Geist sich damit nicht abfinden will, und ständig nach einem tieferen Sinn sucht. Nach Camus ist somit nicht das Leben das Absurde -

"Absurd ist vielmehr der Zusammenstoß des Irrationalen mit dem heftigen Verlangen nach Klarheit, das im tiefsten Inneren des Menschen laut wird.
...
Dann stürzen die Kulissen ein. Aufstehen, Strassenbahn, vier Stunden Büro oder Fabrik, Essen, Strassenbahn, vier Stunden Arbeit, Essen, Schlafen, Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag, immer derselbe Rhythmus - das ist sehr lange ein bequemer Weg. Eines Tages aber steht das 'Warum' da, und mit diesem Überdruss, in den sich Erstaunen mischt, fängt alles an."


Dieses Warum. Es lässt uns einen Schritt vom Strom der Zeit zurücktreten, gibt uns ein zweites Ich an die Hand, und mit ihm werden die Wege des Alltags zu Labyrinthen. Und wir zu Fremden in dem Raum, der bis zum Warum fraglos unser war, und der nun Kulisse unseres Suchens ist. So rollen wir die Fragen, stoßen an die Türen, die zu zwei steinigen Weg öffnen. Sehnen uns dort an der Weggabelung vielleicht zurück in die Zeit des Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag.

Erinnern uns dann an den Mythos von Sisyphos. An sein von Camus nachskizziertes Schicksal. Rollen sie weiter, die Frage nach dem Sinn unseres Seins. Und versuchen dabei zu lächeln.

"Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen."

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