Thursday, November 17, 2005

Au Revoir im Automat



Gestern: Vollmond in den Zweigen hängend, um 6 Uhr abends.

Heute: Traumstücke zum Aufwachen. Ein Stadtplatz, eine Gruppe beim Aufbrechen, eine vergessene Jacke. Meine vergessene Jacke. Ich gehe zurück, sie zu holen. Und finde dort statt der dunklen Sommerjacke eine helle Winterjacke.

Später dann, mittags, die Fortsetzung des Traums in der Realität. Ich ziehe die dunkle Winterjacke an, packe den Stapel Oktoberbücher in den hellen Rucksack, 'Sommerstück', 'Osten, Westen' und 'Everything is Illuminated', und mache mich auf den Weg zur Bücherei.

Dort, an der Tür, ein LesArt Poster. Innen, ein neuer Kasten. Passfotos, denke ich. Und liege knapp daneben. Statt Bildern gibt es beim AutorMat Worte gegen Einwurf. Krimi, Gedichte, oder eine Geschichte. Ich stehe und warte, doch der Appartat bleibt stumm. Keiner drin, keine Chance auf Zuhören, auf das Einfangen einer Zeile.

Nur ein Stapel Autorenkarten neben dem Kasten. Ich nehme eine, und sehe darauf - Jochen Weeber. Den ich kenne. Was ein spezieller Zufall ist, da die Zahl der mir persönlich bekannten Autoren sich doch deutlich im zweistelligen Bereich bewegt. Vielleicht im Cafe, denke ich, die Tatsache ignorierend, dass Automaten ja gerade dazu da sind, die Anwesenheit eines Menschen zu ersetzen.

Also folgerichtig auch Fehlschlag im Cafe. Dafür einen Stock höher, Bücher. Und mein Kopf noch nicht ganz da. So fange ich bei Z an und bleibe erst ab C richtig hängen. Canetti und Auster. Und: Camus. Nachträge aus Hampstead. Keine Lösungen, dafür zeitweilige Gedanken.

"Es hilft einem gar nicht zu wissen, daß es keine Lösung gibt, wenn es um das einzige Problem geht."

"Tagebücher, die zu genau werden, sind das Ende der Freiheit. Man kann sie darum nur zeitweilig führen, und die 'leeren' Zeiten dazwischen sind die vollen."

Unten dann wieder der Kasten. Die Neugier auf Worte. Und ein 50 Cent Stück in der Tasche. Nun noch entscheiden. Minikrimi, Gedichte oder Kurzgeschichte. Einwurf. Erwartungsvolles Starren auf die Holzwand. Sollte da nicht ein Monitor sein? Und sollte das Geld beim Einwerfen nicht Klimpern, sollte jetzt nicht irgendein Mechanismus auslösen, der die Worte anstößt?

Bei dem Gedanke bewegt sich die Wand. Wird zu Boden gestellt. Ich schaue nun - dem Autor in die Augen. "Hallo," sagt der, lächelnd. "Hallo," sage ich, automatisiert. Und erlebe - meine erste PrivatAutorMatLesung. Die mit einem Au Revoir anfängt.

au revoir

ein auge bleibt
selten trocken

bei so szenen
an bahnhöfen.

wenn a. wegfährt
winkt sie mit der
rechten

und wischt

mit ihrer
linken.

leute schauen
sich sowas gern an,
während sie currywurst
essen.

wenn a. wegfährt
essen leute

wurst mit der
rechten

und brötchen
mit der linken.

bei so szenen
an bahnhöfen

bleibt ein
auge selten
trocken

und niemand
isst obst, obwohl
das
viel schöner wäre.


- Jochen Weeber (Webseite)

Wir sollten einen Kaffee trinken gehen, stellen wir nach der Lesung fest, aber das geht nicht, da der AutorMat ohne Autor eine wirkliche Rätselkiste wäre. Daher also Au Revoir, und natürlich fällt mir erst im Auto ein, dass mein Handy ja auch Fotos machen kann, wenn man den richtigen Knopf drückt.

~~

No comments: