Thursday, March 01, 2007

Zeit für Be



Zeit für Be. Zeit für Be wie Charlotte und Emily Bronte, Charles Bukowski, Djuna Barnes. Und auch: Zeit für Simone de Beauvoir, William Boyd, Paul Bowles and William Burroughs.

Und für: Ray Bradbury. Fahrenheit 451. Eines der Bücher, die ich erst in der Hand hielt, dann zurückstellte, dann doch mitnahm. Zum Glück. Es liefert in erzählter Weise die Antwort auf die Frage, warum ich mir Filme wie Congo River und Das Geheime Leben der Worte antue, die vom Leid anderer erzählen, von der Ungerechtigkeit der Welt, vom Drama des Kriegs, dass mit Kriegsende lange nicht beendet ist.

"Verschone mich damit", sagte Mildred. "Ich bin nicht schuld daran."
"Dich schonen! Das sagst du so, aber wie kann ich mich selber schonen? Was uns not tut, ist nicht, verschont zu werden. Was uns not tut, ist von Zeit zu Zeit richtig aufgestört zu werden. Wie lange ist es her, seit du richtig verstört warst? Aus einem triftigen Grund, einem wesentlichen Grund?"
Und dann verstummte er.


Leben. Und all die Fragen dazu. Dann, unerwartet, ein Film der sich als Märchenfilm tarnt, und direkt bei den grossen Fragen einhakt. „Bis in alle Ewigkeit“: Eine Familie lebt seit Jahrzehnten im Wald - nachdem sie dort von einer Quelle getrunken haben, die sie unsterblich macht. Eines Tages verirrt sich eine junge Frau in dem Wald, und trifft einen der Söhne. Die zwei verlieben sich, und er nimmt sie mit. Zum einen, weil er sie nicht gehen lassen will, zum anderen, weil er sie nicht gehen lassen kann – denn nichts fürchtet die Familie mehr, als gefunden zu werden.
Schließlich erfährt die junge Frau von dem Geheimnis. Da geht der Vater mit ihr zu einem See, um mit ihr zu reden.

„Siehst du,“ sagt er und deutet auf die Bäume, die Vögel, den See. „Alles lebt. Alles befindet sich in steter Veränderung, ist ständig am wachsen. Nur wir, wir sterben nicht. Wir sind wie die Felsen. Wir sind einfach da.“
Und dann: “Fürchte dich nicht vor dem Tod. Fürchte dich vor einem ungelebten Leben.“

Ein ungelebtes Leben. Drei Worte, eine Gedankenwelt. Das Ende des Films: ein Grabstein, mit einem eingravierten Datum. 1888 - 1988. Ein Jahrhundert leben. Samt industrieller Revolution, zwei Weltkriegen, einer Weltwirtschaftskrise, der Erfindung von Fernsehen. Und von Computern.

Simone de Beauvoir hat es alles erlebt. Geboren 1908. Gestorben 1986. Wenn man ihre Biografie liest, und ihre Memoiren einer Tochter aus gutem Hause, liest man sich gleichzeitig durch die Zeit. Und lernt in den Kriegsjahren um 1943 eine eigene Sicht der Frage nach Leben und Tod kennen.

Der Tod ist nicht immer ein absurdes, einsames Unglück. Manchmal stellt er eine lebendige Bindung zu anderen her. Er ficht unsere Existenz an, aber zugleich ist er Schlüssel zu jeder Kommunikation. Wäre unser Leben unendlich, es löste sich in der Gleichgültigkeit des Universums auf.

Parallel zu Simone de Beauvoir lese ich Lies Groenings Buch über ihre Zen-Erfahrungen in einem japanischen Kloster. Die Zeit dieses Aufenthalts: 1957 bis 1959. Die Zeit, in der auch Fahrenheit 451 erschien. Die lautlose Stimme der einen Hand. Ein klassischer Zen-Koan, auf den es keine logische Antwort gibt. In dem Buch geht es um Leben. Und auch um Sterben. Ich hatte die Zeilen vergessen. Vielleicht habe ich das Buch aus dem Regal geholt, um sie wiederzufinden.

Es war eine Zeit, in der ich das Alleinsein suchte - ein Alleinsein ohne Einsamkeit. Es war von einer Fülle, die mich Zeit und Stunde vergessen ließ.
War es mir bisher nicht ernst gewesen mit Zen? Ja und nein. Immer noch waren es für mich zwei Welten: der Tempel und das Leben draußen. Und indem ich das begriff, hob sich diese Zweiteilung in mir auf. In sich selber sein ist Leben und Sterben zugleich. Ist nicht jeder Atemzug Leben und Sterben? Bin ich nicht mitten im Sterben, wenn ich mitten im Leben bin?
Ich begriff: Wenn ich dem Tod ausweichen will, weiche ich auch dem Leben aus.


Und wie passend: das Lesezeichen, das im Buch steckt. Ein Kalenderblatt aus einem Lesezeichen-Kalender vom Vorjahr, von dem nun die Bilder und Gedanken ohne zugehörige Monatszeit geblieben sind. Das Blatt zeigt - ein Blatt. Unter dem steht: Der Mensch leidet, weil er Dinge zu behalten begehrt, die ihrer Natur nach vergänglich sind.

Ein Blatt sein. Loslassen. Sich fallen lassen. In den Wind. Seltsam, dass die Blätter das so gut können, und wir so an allem haften. Selbst an Kalenderblättern, die vom Loslassen erzählen.

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