Wednesday, December 20, 2006

Schwimmen im Winter



1939, in dem Jahr, in dem mein Vater geboren wurde, in dem Jahr, in dem Europa auf den zweiten Weltkrieg zusteuert, reisen zwei Frauen mit dem Auto von Genf über den Balkan nach Afghanistan. Annemarie Schwarzenbach und Ella Maillart. Annemarie Schwarzenbach schreibt über die Reise ein Buch: das glückliche Tal.

Es ist die letzte Chance, mich in die Hand zu bekommen, da die europäische Krise Tag für Tag zunimmt. Diese Reise muss uns endgültig dazu verhelfen, vernünftige, verantwortungsbewusste Menschen zu werden.

2001 entsteht in Anlehnung an ihr Buch ein Film: Die Reise nach Kafiristan. Weitere fünf Jahre später findet eine DVD des Films den Weg in den Recorder hier. Und ich? Bin fasziniert von den Bildern, den Worten des Films. Und schlafe dann in der Mitte des Films ein. Auch beim zweiten Versuch. Ich verstehe es nicht. Und erinnere mich dann an die Szene, in der Ella träumt, von der Treppe zu dem Ort in den Bergen. Vielleicht versuchen meine Gedanken ihr dorthin zu folgen, denke ich, aber mein Morgengedächtnis gibt keine Erinnerung preis. Stattdessen bringt es Stücke eines Songs mit. It's just another day for you and me in paradise. Es war mal mein Passwort, fällt mir ein. IJADIP. Getippt jeden morgen in eine Tastatur in einem Büro. Bis ich dann eines Tages wusste, ich muss gehen. Von dort gehen. Auf eine Reise gehen. Alleine.

Um zu überleben, sind die meisten Spezies unseres Planeten gezwungen, sämtliche Erfahrungen, die sie machen, in eine von vier Gruppen einzuordnen. Was immer ihnen begegnen mag, ist entweder eine Nahrungsquelle, eine Bedrohung, ein Mittel zur Fortpflanzung oder bedeutungslos.

Worte von Evelyn Glennie. Aus einem Interview auf Deusche, das im Begleitheft zur DVD Touch the Sound zitiert wird. Vier Gruppen von Erfahrungen zum Überleben, fünf Stufen in Maslows Pyramide der Bedürfnisse, und eine wissenschaftliche Theorie der zehn Dimensionen der Welt. Zehn Dimensionen, und keine Reaktion der dreidimensionalen Welt auf diese Stringtheorie.

Daher dann zwei Tage später eine andere Dimension in der gewohnten Dimension: China in der Stuttgarter Staatsgalerie. 560 Bilder von Menschen in China, aufgenomment von Menschen in China. Die Bilder bilden vier Gruppen, optisch in Quader gefasst (sind diese Worte eigentlich verwandt? Bild und bilden?). Die Themen der Quader, fast eine Spiegelung zu den vier Dimensionen von Erfahrung: Existenz, Beziehung, Begehren und Zeit. Verflochten mit den Bildunterschriften ergeben sich daraus zen-ähnliche Gedanken.

Zeit ist ein ledernes Boot auf dem gelben Fluss.
Begehren ist ein Billiardspiel am Rande eines Feldes.
Existenz ist Schwimmen im Winter.

Daheim blättere ich selbst in der Zeit zurück. Und finde ein zweidrittel Jahr zuvor am gleichen Tag: Korea. In der Ausstellung: "On Difference#2". Von der ich ein Plakat mitgebracht hatte. Und ein Buch, das mit einem weiten Gedanken anfängt: Our life is our message. Ein Satz, der mich an den Anfang dieses Blogs selbst zurückbringt, zum 7. November 2005, zu Sommerstücke im November, die mit der Frage enden, auf die "our life is our message" vielleicht eine Antwort ist, eine Verknüpfung aus den beiden Feldern Existenz und Zeit:

Woher kommt dieses Bedürfnis überhaupt, die Momente zu skizzieren, in Worten, auf Papier, sie zu drehen. Dieses Bedürfnis, geschriebene Worte zu teilen. Und diese Versuche, in Sätzen auf den Grund der Dinge zu tauchen.

Es wird Zeit, schwimmen zu gehen.

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