Sunday, July 06, 2008

unsichtbar



Juli 2008. Sonntag. Ich lese die rororo-Biografie von George Sand. Und reise mit Renate Waggershauser zurück in die Vergangenheit. Zum Dezember 1831. Dem Monat, in dem aus Aurore Dudevant ein Mann wurde. Zumindest äußerlich.

"Ich machte mir also einen Schilderhaus-Überrock von groben grauem Tuche und Hose und Weste von demselben Zeuge. Dazu trug ich einen grauen Hut und eine dicke wollene Halsbinde und sah nun ganz aus wie ein Student im ersten Jahr. Niemand beachtete mich oder ahnte meine Verkleidung."

In Paris schreibt Aurore Dudevant mit ihrem Freund Jules Sandeau einen Roman, der unter dem Pseudonym J. Sand veröffentlicht wird. Wenige Monate später folgt ein zweites Buch, von ihr alleine geschrieben. Sand soll als Autorenname dafür erhalten bleiben, in Kombination mit einem geänderten Vornamen.

"Ich wählte schnell und ohne Bedenken den Namen George." Damit war George Sand geboren, und mit diesem Männernamen nahm Aurore auch die Angewohnheit an, von sich in der maskulinen Form zu sprechen.

Bei dem Namen bleibt sie dann. Und provoziert damit, für sich die gleichen Rechte einzufordern, die einem Mann ohne weiteres zugestanden werden. Verreist mit Chopin nach Mallorca, unverheiratet. Ist später befreundet mit Flaubert, der eine Novelle für sie schreibt: Ein einfaches Herz.

..die ergreifendste der sogenannten 3 Erzählungen Flauberts. Wie von Madame Bovary, so könnte man auch von der Dienstmagd Félicité, der Hauptfigur dieser Erzählung, sagen, sie sei Flaubert selber.

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Zeitsprung. Zurück ins Jetzt. 2006, Brooklyn. Das Buch von Siri Hustvedt, es stand nicht einsortiert zwischen den anderen Büchern im Regal, sondern neben ihnen, Cover nach vorne. Passt, denke ich. Und stolpere dann über den Titel: Being a Man. Der Inhalt selbst ist leider nicht auf englisch. Und um das Verwirrspiel zu vertiefen, heißt das Original ohnehin "A Plea for Eros."

Das Buch, es ist kein Roman, sondern eine Sammlung ihrer Essays, bei denen es auch um ihr Buch "Was ich liebte" geht - das sie als Frau aus der Perspektive eines siebzigjährigen Mannes geschrieben hat.

Leo zu sein war kein Akt der Übersetzung. Nach einer Weile hörte ich ihn. Ich hörte einen Mann. Es ist wohl unerklärlich, woher er kam, aber ich bin davon überzeugt, dass ich ihn aus der Erfahrung bezog, den Männern zuzuhören, die ich geliebt habe und liebe, besonder meinen Vater und meinen Mann, aber auch andere, die entscheidend für meine intellektuelle Entwicklung waren - jene körperlosen männlichen Stimen in den zahllosen Bücher, die ich im Lauf der Jahre gelesen habe. Ihre Worte sind in mir, aber genauso die Worte der Schriftstellerinnen: Jane Austen, Emily und Charlotte Bronte, George Eliot, Emily Dickinson, Gertrude Stein, Djuna Barnes. - Lesen heißt, den Schreiber nicht zu sehen. Marian Evans wurde George Eliot, um ihr Geschlecht zu verstecken, und es funktionierte eine Weile. Flauberts Erklärung "Madame Bovary, c'est moi" ist so ernst gemeint wie alles, was er gesagt hat.

Lesen heißt, den Schreiber nicht zu sehen. So simpel, dieser Gedanke. Und gleichzeitig so spannend. Woher kommen die Stimmen, die wir hören, wenn wir lesen? Wie würde sich die Stimme ändern, wenn der Vorname des Autors nicht auf dem Titel stehen würde?

Und, aus aktuellem Anlass: wie ist das Verhältnis von Autoren und Autorinnen, rein zahlenmäßig? Eine Internetsuche führt zur Zahl 3:1, allerdings bezieht sich die Zahl auf US-Magazine (link). Auf der Seite des Nobelpreises für Literatur gibt es den Button "nur weibliche Preisträger anzeigen" - die Liste reduziert sich dann von 106 auf 11, was einem - sicherlich nicht repräsentativen - Verhältnis von 9:1 entspricht. (link).

Die erste Frau, die den Litaturnobelpreis verliehen bekam, war Selma Lagerlöf, "auf Grund des edlen Idealismus, des Phantasiereichtums und der seelenvollen Darstellung, die ihre Dichtung prägen". George Sand hat diesen Tag nicht mehr erlebt - er fand 1909 statt, 33 Jahre nach ihrem Tod.

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