Tuesday, November 07, 2006
Kleine, gemeine Geschichten
Wenn die Frankfurter Buchmesse am Dienstag, 17. Oktober eröffnet wird, wann gibt es dann die ZeitLiteratur? Am darauf folgenden Donnerstag, dachte ich. Und lag damit exakt 7 Tage daneben. So erhielt ich statt gebündelter Buchbesprechungen eine Beilage namens InDesign. Oder InStyle. Und nun? Nun Geduld, stellte I. lächelnd fest. Zehn Tage später überreichte sie mir eine fröhlich bunte Tasche, in der sich die gesuchten Seiten befanden.
Wunderbar, dachte ich. Um dann auf Seite 3 gleich vor der nächsten Frage zu stehen. Die sich auf dem Mount Abu dem Schriftsteller Martin Mosebach stellte, der momentan in Asien weilt, und von dort den Eröffnungsbeitrag zur der Ausgabe beisteuerte. Entsprechend dem Schwerpunktthema der Buchmesse: eine Reisegeschichte aus Indien bei der es um eine Begegnung mit einem weisen Mann geht. Das Ganze gespickt mit den kleinen, großen Fragen des Lebens.
Auf dem Weg beschäftigen uns die Gedanken, wie wir der Begegnung mit dem Heiligen gerecht werden könnten. Wäre es passend, ihn etwas zu fragen? Und wie müsste eine Frage passenderweise beschaffen sein? Müssten nicht ganz grundsätzliche Dinge besprochen werden in der Höhle? Aber würde ein solcher Weiser uns nicht sofort durchschauen, wenn wir da mit einer wichtigtuerischen Frage aufträten, die wir uns für den Anlass zurechtgelegt hätten? Wäre es nicht richtiger zu schweigen? Vielleicht würde der Heilige uns eine Lehre, vielleicht auch nur einen einzigen Satz mitgeben, der uns lange im Gedächtnis bliebe?
Statt zu fragen, setzen sich die Besucher der Höhle. Und hören dem Schweigen des Yogi zu. Doch das ist nicht das Ende der Geschichte. Es folgt noch eine Pointe, in der das Schweigen gebrochen wird, und Besucher, Yogi und Leser zusammen wieder in die Leichtigkeit und Oberflächlichkeit des Jetzt gebracht werden. Schließlich folgen der Geschichte ansehnliche 100 Seiten Text, die alle darauf warten, gelesen zu werden.
Ich blättere brav weiter, bleibe jedoch vorerst nur an den Fotos hängen - diesen faszinierend farbigen Momente aus Chennai, aus Jaisalmer, aus Srinagar.
Dann stoße ich auf Haruki Murakami. Besprochen von Helge Timmerberg. Gott ist ein Herr aus Tokyo, steht auf der Seite. Und einige Zeilen später bin ich wieder dort, in dieser merkwürdigen Geschichte, die ich selbst vor ein paar Monaten gelesen habe, dieser Geschichte über die Kellnerin, die einem Hotelgast das Essen aufs Zimmer bringt. Der Hotelgast entpuppt sich als freundlicher alter Herr, der sie nach ihrem Wunsch für das Leben fragt, als er erfährt, dass sie Geburtstag hat.
Aber der Kellnerin fällt nichts ein. "Sie wollen nicht reich und berühmt werden?" fragt er sie. Die Kellnerin denkt noch einmal nach. Doch, da gibt es etwas, ja, sie hat einen Wunsch. Dann geht sie wieder runter, und die Geschichte geht weiter und weiter und arbeitet offensichtlich mit allem weiteren auf die Klärung von zwei Fragen hin. Was hat sie sich gewünscht? Und: Ist der Wunsch in Erfüllung gegangen? Aber Murakami denkt nicht daran, diese Fragen zu beantworten.
Und wirft genau dadurch noch eine ganze Reihe anderer Fragen auf, die einem auch dann noch nachfolgen, wenn man die Geschichte längst gelesen und zur Seite gelegt hat.
Warum lese ich trotzdem weiter? Warum lasse ich mir das gefallen, diese Geschichten, die wie kleine spitze Schuhe sind, die gegen mein Schienbein treten, um daran zu erinnern, dass es noch Fragen zu klären gibt? Wie man so etwas nennt? Zen-Buddhismus vielleicht. Die haben auch so kleine, gemeine Geschichten, die keinen Sinn ergeben und einen beschäftigen, bis man sie geknackt hat.
Jetzt Murakami, denke ich. Doch das Buch war nicht meines, erinnere ich mich, nachdem ich meine Buchregale besichtigt habe. Dafür findet sich das kunstvoll gestaltet Buch von Kenzaburo Oe, dass ich in Prag in dem Second-Hand-Shop namens Anagram gefunden habe. A quiet life. Und es enthält ebenso, wen würde das überraschen, mehr Fragen als Antworten. Eine besonders bemerkenswerte davon findet sich im 3. Kapitel, in dem es über die möglichen Aussagen eines Films im speziellen und von Künstlern im allgemeinen geht.
"I can't comment on the movie with the kind of formula where one says, 'On the whole, isn't it trying to say something like this?' This, however, it sort of what I thought. The 'end of the world' will come. It won't come today or tomorrow. Most likely, it won't come in our time. But it will come creeping along, slowly, as if it didn't want to. And we'll go on living, as if we didn't want to, because all we can do is wait in fearful uncertainty. Now if things were really like this, wouldn't it be natural for us to want to snatch a preview of this 'end of the world' that's so slow in coming? This, after all, is sort of what I think the job of an artist is."
Das Ende der Welt. Wo hatte ich das gerade? Richtig. In der Themenstellung des Irseer Pegasus. "...als ob morgen die Welt unterginge..." stand dort, über den kleingedruckten Details, die lediglich einen Anhaltspunkt der zur Verfügung stehenden Lesezeit gaben, und hervorhoben, dass man sich durch diese Aufgabenstellung nicht eingegrenzt fühlen solle. Bleiben zwei Fragen. Besteht zwischen der Textstelle bei Oe und der Aufgabenstellung in Irsee ein Zusammenhang? Und: Sind sich Fragezeichen insgesamt ihrer Wirkung bewusst?
Bis morgen, dann.
~~
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