Thursday, June 22, 2006

Sanjamatsuri



Projekt einer Reise nach China. Stand auf der ersten Seite des Buches von Susan Sontag. Das war alles, was es gebraucht hat. Daheim dann, ein paar Tage später, Kapitel XIII.

Ich werde die Chum-Chum-Brücke überqueren. In beiden Richtungen. Und danach? Niemand wird überrascht sein. Danach kommt die Literatur. Bei den sogenannten Romantikern des vergangenen Jahrhunderts bestand das Ergebnis einer Reise nahezu immer in der Hervorbringung eines Buchs. Man reist nach Rom, Athen, Jerusalem - und auch weiter - mit der Absicht, darüber zu schreiben.
Vielleicht schreibe ich das Buch über meine Reise nach China, bevor ich fahre.

Parallel dazu, eine Karte aus Japan, abgeschickt in Kyoto, einem Ortn den ich nur vom danach benannten Umweltabkommen kenne. Auf der Rückseite, geschwungene Zeilen, handgeschrieben, fast wie ein Gedicht. Und darunter, eine winzige gedruckte Bildunterschrift, die erklärt, was man sieht.

On our first day
in Tokyo we joined
the masses,
it was
pretty cool,
off to Kyoto
this afternoon.


Sanjamatsuri - one of the famous festivals in Asakusa, Tokyo.
This event will held in May every year.


Neben dem Text, ein blauer Luftpost-Sticker in 3 Sprachen: englisch, französich und japanisch. Aber am unerwartetsten ist das Motiv der Briefmarke: eine Blaumeise. Oder der asiatische Zwilling davon.

Im Koki dann eine Reise für mich: Die große Stille. Sie beginnt auf einer Brücke über dem Wehrwasser des Neckars, mit Blick zur Burg, zum Junihimmel. Vielleicht liegt es an ihm, dass ich eine halbe Stunde später das erste Motiv des Films nicht erkenne: wirbelnder Schnee vor einem weißem Horizont in La Chartreuse, in den französichen Alpen. Dort, ein Kloster, in dem Gröning den Film über die Stille gedreht hat, in unkommentierten Sequenzen, in meditativen Bildern.

Und je vertrauter die Orte werden, desto stärker treten die Geräusche hervor, das Tropfen des Tauwassers, knarrende Dielen, Schritte, Huschen, Schlurfen. Die Stille beginnt zu leben. Und in diesem Augenblick nimmt einen die Eigentümlichkeit dieses Schweigens gefangen, die Stille beginnt ihre Poesie zu entfalten.

Und ich finde mich wieder, im Yogasitz auf einem Kinosessel, vor mir das Bild eines roten Tores, es ist Frankreich, es könnte auch Asien sein. Ein Begriff fällt in die Bilder, in weichem französisch: solitaire joyeux, fröhliche Abgeschiedenheit. Mon Dieu. Wie anders Worte in einer anderen Sprache klingen. Wie anders das Wehrwasser nach dem Film klingt. Wie viel Zeit es gibt, den Enten zuzusehen, dem Lauf der Wellen.

Im Briefkasten, in der gleichen Woche, ein weiteres Echo: eine Karte aus Les Gorges du Verdon. Und auch auf dieser Karte, eine Briefmarke die sich einfügt wie ausgesucht: eine Blume mit Frauengesicht, der Blick nach oben gerichtet, zu einem Paar Vögel, das den Himmel durchquert.

Dazu im Sontag-Buch die abschließende Geschichte. Ohne Reiseführung. Inklusive einer leisen Warnung.

Man muß sich hüten vor der Frage, ob die Freuden dieses Jahres die vom letzten übertreffen. Sie tun's nie. Das muss die Verführungskraft der Vergangenheit sein. Aber warte nur bis aus dem Jetzt damals wird. Du wirst sehen, wie glücklich wir waren.

Wie war nun noch einmal das Wort für Wunschlosigkeit, denke ich dann später, auf den Stufen der Treppe. Nicht Sanjamatsuri. Aber so ähnlich. Ich richte meinen Blick nach oben, suche mit den Augen ein Paar Vögel, das erst seit diesem Jahr hier zu sehen ist. Rote Milane. Sie fliegen heute woanders. Dann fällt es mir ein: Samsara.

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