Sunday, September 10, 2006

unterwegs



Drei Tage Tirol. Alles fertig gepackt, von T-Shirt bis Wollmütze. Nun noch das passende Buch. Eigentlich wäre die Kafka Biografie dran, aber die ist nicht wirklich für unterwegs. Kerouac wäre besser. Nur, dass dessen Traumbuch bereits wieder in der Bücherei weilt. Dann fällt mir der logische Schritt ein, als Quergedanke zu den Kas von der Reise nach Prag, und dem Hotel namens "Trinidad": Timbuktu. Das Paul Auster Buch, das aus der Perspektive eines Hundes geschrieben ist, und das schon länger quer im Regal steht. Ich schlage es probeweise auf. Und die Reise fängt an.

Die Reise war eigentlich gar nicht so schlecht verlaufen. Sie waren hergekommen, um nach der einen Sache zu suchen, und hatten eine andere gefunden, und am Ende zog Mr. Bones das, was sie gefunden hatten, dem, was sie gesucht hatten, vor.
In der Ferne sah er einen Mann und ein kleines Mädchen laufen, aber er verschwendete keinen Gedanken an sie. Sie kamen oder gingen, und es spielte überhaupt keine Rolle, wer sie waren. Der Regen war stärker geworden, und der Wind fegte die Schokoriegelverpackungen und Papiertüten über die Straße. Mr. Bones schnüffelte ein-, zweimal und gähnte dann grundlos. Nach einer Wolle rollte er sich auf dem Boden zusammen, seufzte tief und wartete darauf, was geschehen würde.

Das ist es, denke ich. Das Buch für unterwegs. Auf dem Weg nach unten fällt mein Blick dann von Rothko in abgetönten Farben an der Wand auf Social Beat in strahlend gelb auf der Treppenstufe. Beat, klickt es in meinem Kopf. Burroughs, antwortet das Buch mit einem Zitat auf einer jenseits der Mitte aufgeschlagen Seite, und taucht von Timbuktu in Gedankenfetzen von Klaus Maekschen direkt weiter nach Tanger, in die Stille jenseits der Stadt.

"It might or might not be a dream, and
which way it falls might be in the balance
while I watch this tea glass in the sun"

das unsichtbare Buch,
das Leben
wie es sein sollte

aqui y ahora

wüste ist stille
unbeschreibliche stille
kein wort passt hier

Aqui y ahora. Ich kritzele die 3 Worte in mein kleines Notizbuch, und nehme sie mit auf meine Reise zu den Orten, die auf der Landkarte nichts als kleine weiße Kreise mit danebenstehendem Namen sind, und dabei zusammengefügt fast ein Haiku ergäben:

inn imst tumpen oetz
heiterwang und namlos
umhausen bei gries

~

Am Montag morgen dann nach Hause, um Dienstags einen Tag zwischen den Alpen daheim zu sein, um nach dem Wetter in den Delfinalpen zu sehen, und um das passende Buch für Frankreich zu finden. Simone de Beauvoir? Sartre? Da war doch noch - genau. Eines mit Meer. Marguerite Duras. Der Matrose von Gibraltar. Lange hat er gewartet. Nun ist es soweit.

Man entdeckt, was man zu entdecken vermag, in dem Alter, in dem man es vermag, und bei der Gelegenheit, bei der man es vemag.

Was so auch für das Buch selbst gelten könnte. Und für die französichen Alpen, deren persönliche Entdeckung durch ein ausgebreitetes Regengebiet über Italien erfolgte. Womit sich wiederum die Parallele zum Buch ziehen lässt, das von einer Reise handelt, die in Pisa beginnt, nach Florenz führt, weiter nach Rocca - und von dort, per Yacht, auf der Suche nach dem Matrosen von Gibraltar - nach Sète. Einem Ort, der mir bis zu dem folgendem Montag noch unbekannt war. Bis zu der Zeit, an dem wir an der Autoroute an eben diesem Sète vorbei fuhren.

Epaminondas hatte den Beruf gewechselt. Er war Lastwagenfahrer geworden, auf der Strecke Sète-Montpellier. In Ausübung diese Berufs war er dem Matrosen von Gibraltar begegnet. Der Matrose von Gibraltar hatte ebenfalls sozusagen den Beruf gewechselt. Er betrieb eine Tankstelle auf der Nationalstrasse ausgerechnet zwischen Sète und Montpellier. Sie lächelte, als sie das hörte. Ich auch.

Und - ich auch. Nichts besseres, als auf einer Reise auf solche unerwarteten Begebenheiten und Verknüpfungen zu stoßen. Daran erinnert zu werden, das die Welt ein Mosaik aus ebensolchen Verknüpfungen ist. Dass es deswegen soviele Bücher gibt, in denen eine Reise vorkommt. Denn unterwegs fällt das Mosaik mehr auf. Denke ich. Lese weiter. Und komme, einmal mehr, in Tanger an.

Doch diesmal schloss sich Tanger nicht um mich, im Gegenteil, die Stadt breitete sich immer weiter aus, und ich hätte glauben können, ich würde nie an ihr Ende gelangen, sondern würde, bei den Cafès auf dem Platz angekommen, mein Leben lang dort bleiben. Ich war verzweifelt glücklich.

Tanger. Eines Tages sollte ich doch einmal dorthin reisen. Dort in einen Zug nach Marrakesh steigen. In die Wüste gehen. An einem Schiff als Supernumerary anheuern und mit über das Mittelmeer fahren. Wie anders die Welt vom Wasser aus anzusehen wäre. Wellenläufe statt Strassenzüge. Strömungen statt Autobahnen. Wie viel besser das wäre als das Gegenstück, von dem Jay McInenerey erzählt, in einem der Bücher, das im Original einen so ganz anderen Titel trägt als in der Übersetzung. "Bright Lights, Big City" statt "Ein starker Abgang". Und das mich von Tanger aus auf die andere Seite des Atlantiks befördert, während ich am Strand von Narbonne sitze und aufs Meer schaue.

Du setzt dich auf einen Poller und schaust hinaus auf den Fluß. Flußabwärts erkennst du im Dunst die Freiheitsstatue. Am anderen Ufer heißt eine riesige Colgate-Reklametafel dich in New Jersey, dem Garden State, willkommen. Du siehst zu, wie eine Müllschute, eingehüllt in eine Wolke kreischender Möwen, würdevoll vorübergleitet und Kurs aufs offene Meer nimmt. Da bist du also mal wieder. Alles verpfuscht und kein Ort nirgends.

Kein Ort nirgends. War das nicht auch eine Zeile in dem Kerouac-Buch, das auch am Wasser beginnt, jedoch praktischerweise gerade daheim in einem Regal steht, und bei dem die deutschen Verleger gleich vorneweg auf eine Übersetzung des Originaltitels verzichtet haben? Lonesome Traveller. Erst da fällt mir auf, dass auch das Kerouac-Buch, das ich dabei habe, den Originaltitel trägt, deutsche Erstausgabe her oder hin. The Town and The City. Das Dorf in dem Buch ist Galloway. Die Stadt - New York. Und die Stimmung dort knüpft fast direkt an keinen Ort nirgends an.

Peter ging an diesem Tag durch diese lauten lebhaften Straßen. Er sah eine fette, traurig dreinblickende Sopranistin in einer Wohnung singen, offenbar eine Kandidatin für die Metropolitan Oper, wild und verrückt. Über allem standen hoch und erhaben, gleichsam den alten verrußten Dächern entspringend, die Wokenkratzer der Wall Street, fern und stolz und drohend. Er stieg die dunklen muffigen Treppen zu Dennisons Wohnung hoch, bis in den sechsten Stock in diesem düsteren und altersschwachen Mietshaus.

Peter ist Jack. Und Dennison? Ich schaue auf das Wikipedia-Blatt, das weiter hinten im Buch liegt, und einige Erläuterungen zu den Personen in der City enthält. Und lächle, einmal mehr. Will Dennison im Roman ist - William Burroughs. Durch das Will hätte ich draufkommen können, wenn ich nach der Verknüpfung gesucht hätte.

Ein dutzend Seiten tritt dann eine Figur auf, die auf dem Blatt nicht erwähnt ist, dafür umso bekannter wirkt, auch wenn die Figur namenlos bleibt:

Als Peter in Judies Wohung platzte, fand er sie im vorderen Zimmer als Gastgeberin eines jungen Mannes, den sie an diesem Morgen in einer Kneipe kennengelernt hatte. Sie tranken Bier und unterhielten sich. Er war ein junger Seemann, gerade von einer Fahrt nach Brasilien zurück, er trug eine Sonnenbrille, weite Hosen, die unten zusammenliefen, und einen merkwürdig gefärbten Seidenschal um den Hals.

Der Matrose von Gibraltar, denke ich. Markiere die Seite, und mache mir darauf eine Notiz, im Lonesome Traveller nach keinem Ort nirgends zu suchen. Dann stehe ich auf. Die Reise geht weiter.

~

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